Zur Vor- und Frühgeschichte

INHALTSVERZEICHNIS

MENSCHEN UND KUTUREN ZUR WÜRMEISZEIT
NACHEISZEITLICHE MENSCHEN UND KULTUREN
QUANTENSPRÜNGE ZUR JUNGSTEINZEIT
BRONZE- UND EISENZEIT (ab 1900 v.C.)
KULTE UND KULTHÖHLEN
GERMANEN IM SAUERLAND
DER ORTSNAME BALVE
GÖTTERWELT - CHRISTIANISIERUNG - FEUDALISMUS

MENSCHEN UND KUTUREN ZUR WÜRMEISZEIT

Die ältesten Zeichen für menschliches Leben im Hönnetal wurden in der Balver Höhle gefunden. Bereits vor 100 000 Jahren durchwanderten zur Eem-Warmzeit Horden des Neandertalers die Wälder bzw. Buschsteppen des heimischen Raumes. Mildes oder subtropisches Klima bestimmte die Vegetation und Artenvielfalt der Tierwelt dieser erdgeschichtlichen Periode (Wald-/Steppen-Elefant, Nashorn und Rothirsch u. a.). Der frühe Neandertaler stellte nur einfache Gerätschaften und Waffen her. Aus geeignetem Gestein (Grauwacke, Kieselschiefer, Amphibolit, später Feuerstein) fertigte er Fäustel, Faustkeile, Schaber, Kratzer her (Kulturgruppe des Spätacheuléen und des Micoquien). Der frühe Neandertaler lebte als Wildbeuter; er jagte oder sammelte, was ihm die Umwelt auf seinen Wanderungen bot. Entwicklungsgeschichtlich gehört er zu den "verständigen" Menschen (homo sapiens neanderthalensis), d. h. zu jener Gattung der Hominiden, die bereits denkend und bewußt handelnd die Angebote der Natur zu nutzen suchten.

Mit Beginn der Würm-Kalt-(Eis-)Zeit veränderten sich Flora und Fauna. Grasreiche Tundren boten nun dem Mammut, Wollhaarnashorn, Moschusochsen, Höhlenbären und anderen Arten der (sub-)arktischen Fauna einen angemessenen Lebensraum. Der Neandertaler musste seine bisherigen Lebensgewohnheiten den veränderten Umweltbedingungen anpassen. Er entdeckte neue Herstellungstechniken und verfeinerte damit seine Gerätschaften und Jagdwaffen aus Stein, wie Funde aus Balver Höhlen belegen. Tuschierte (seitenbeschlagene) Klingen, Bohrer, Hand- und Pfeilspitzen für Speere z. B. sind Produkte, die ihn befähigten, Großwild zu zerlegen und seine Teile zu verwerten. Felle, Knochen, Sehnen halfen, z. B. wärmende Kleidung und schützende Behausungen (Windschirme) herzustellen. Aber bereits der erste massive Kältevorstoß zur Würm-Eiszeit vor rd. 70 000 Jahren, der zu ausgedehnten Vereisungen und Dauerfrostböden führte, zeigte die Grenzen seiner Anpassungsfähigkeit. Der Neandertaler wanderte südwärts oder wurde Opfer polarer Kältespitzen. Etwa 20 000 Jahre blieb das Sauerland unbewohnt

Klinge

Schaber

Spitze

Kratzer

 Messer

KLINGE

SCHABER

SPITZE

KRATZER

MESSERCHEN

Während einer Zwischeneiszeit (Interstadial), die in Sommermonaten verträgliche Umweltbedingungen bot, kehrten Nachfahren des frühen Neandertalers wieder ins Hönnetal zurück. Die Pflanzen- und Tierwelt der Gras- und Strauchsteppen sicherte ihren Lebensbedarf, zumal sie ihre Werkzeuge, Gerätschaften, Jagdwaffen aus Stein, Holz oder Bein weiter vervollkommnet hatten (Klingen, Pfriem, Flachspitzen). zeltartige Hütten erleichterten dem klassischen Neandertaler Wanderungen und Jagdzüge durch das Land. (Kulturgruppen: Spätmousterien, Blattspitzenkultur zum Ende der mittleren Altsteinzeit) Der zweite Kälteeinbruch vor etwa 40 000 Jahren jedoch besiegelte das Schicksal des homo sapiens neanderthalensis im Hönnetal wie in Europa. Tundren, Taigas und Frost-schuttböden bedeckten gletscherfreie Niederungen. Polare Kälte und Nahrungsmangel bedrohten erneut seine Existenz. Nur wenige Neandertaler dürften den langen Fluchtweg nach Südwesteuropa angetreten und überstanden haben. Die Rasse starb aus - wie viele andere Arten und Gattungen der Hominiden während ihrer Evolution zum Jetztmenschen. Wenige Überlebende vermischten sich mit der neuen Menschenrasse, die im Mittelmeerraum Fuß gefasst hatte und nach Norden drängte.

In Nordeutschland und damit im Sauerland stiegen rd. 10 000 Jahre später erneut die Temperaturen (2. Zwischeneiszeit). Grasreiche Strauchsteppen und Birkenbestände förderten die Population eingewanderter Tierarten (Hirsch, Elch, Wisent, Braunbär, Moschusochse, Ren usf.) Zu dieser Zeit wanderten aus Südfrankreich und über den Balkan Menschengruppen ein, denen die Wissenschaft mehr Innovationskraft als den Neandertalern zugemessen hat. Anthropologisch ist der Aurignac- bzw. Cro-Magnon-Mensch Vorfahr des Jetztmenschen (homo sapiens sapiens). Er entwickelte z. B. Steinwerkzeuge, mit denen man schneiden, sägen und sticheln konnte (Aurignacien, bedingt Solutréen). Nomadisierend zogen die Familienclans mit Sack und Pack (Fellzelte) von Ort zu Ort, um in der weitläufigen, offenen Landschaft der Jagd und dem Sammeln von Bodenfrüchten oder Heilpflanzen nachzugehen. Aber auch sein Verbleiben war nicht von langer Dauer. Neue Kälteeinbrüche führten zu einem sog. Kältemaximum. Die Dauervereisung erreichte den Haarstrang; Wieder bedeckten Frostschutt und Dauerfrostböden Ebenen und Täler. Selbst kältegewohnte Tiere zogen in freundlichere Gefilde oder verendeten.

NACHEISZEITLICHE MENSCHEN UND KULTUREN

Nomadisiernde Rentierjäger
 

Die jüngere Altsteinzeit (bis etwa 9000 v.C.) endete klimatisch turbulent. Kalte Zeiten wechselten mit wärmeren, regenreiche mit trockenen, waldreiche Taigas, baumlose Tundren, grasreiche Steppen und lichte Wälder veränderten in relativ kurzer Zeitfolge Landschaft, Flora und Fauna Nordeuropas. Das Hönnetal war zeitweise kaum besiedelt oder gar menschenleer. Lediglich von 13 000 bis 10 000 v. C. lebten im Sauerland während einer wärmeren Phase (ältere Dryas/Alleröd) Menschengruppen, deren Lebensart genauer beschrieben werden kann. Die Rentierjäger wohnten nomadisierend in Fellhütten und erlegten mit leichten, weittragenden, feinspitzigen Speeren (Speerschleuder, Mikrolithen) selbst schnellfüßiges Wild, vorwiegend Ren und Wildpferd, aber auch Elch, Rothirsch. Jagend folgten sie den Tierherden auf ihren Zügen in Sommer- und Winterreviere bis zur Ostsee (Rügen). Freilandfunde - vorwiegend aus Feuerstein und Kieselschiefer-, die im Bereich Helle-Wocklum gesammelt wurden, lassen vermuten, dass die Silhaue (Silhove) ein bevorzugter Lagerplatz der Rentierjäger war. (Kulturgruppen: Magdalénien, Federmesser- bzw. Ahrensburger Formenkreis)

Lager der Rentierjäger (nach H. Probst)

Quantensprünge zur Jungsteinzeit

Inzwischen hatten unsere Vorfahren gelernt, Tone zu brennen und Gefäße herzustellen. Scherbenfunde von Töpfen und Schalen lassen vermuten, dass in Norddeutschland heimische Bandkeramiker etwa 5000 v. C. (später Schnurkeramiker) in das Hönnetal vorgedrungen waren oder Ansässigen ihre Techniken vermittelt hatten. Keramikgefäße erleichterten das Zubereiten, Garen und Aufbewahren von Nahrungsmitteln.

Zur Jungsteinzeit (3500 bis etwa 1700 v. C.) bedeckten artenreiche Laubwälder Norddeutschland (Pappel, Erle, Ulme, Ahorn, Linde). Die Tierwelt unterschied sich von der unserer Urgroßväter kaum. Die Balver Höhlenfunde gehören zu den Hinterlassenschaften verschiedener Kulturgruppen, die entweder einwanderten oder einheimischen Siedlern ihre neuen Herstellungsverfahren für Gerätschaften, Werkzeuge, Waffen und auch Schmuckwaren vermittelten (Tauschhandel). Ihre ethnische Zugehörigkeit ist unbekannt. Bezogen auf die langzeitigen Entwicklungsstufen vorhergehender Kulturepochen sind die kulturellen Fortschritte von der jüngeren Mittelsteinzeit bis zur Jungsteinzeit mit technologischen Sprüngen der Gegenwart vergleichbar:

  • Die Herstellung von Kleinstwerkzeugen, sog. Mikrolithen, daumengroßen, spitz-oder scharfkantigen Werkzeugen aus Feuerstein, wurde vollendet.
    n Steinerne Beile, Äxte (Streitäxte), Keile, konnten nun geschliffen, durchbohrt und geschäftet werden. Ihre Grundformen unterscheiden sich nicht von denen gleichartiger metallener Werkzeugen unserer Zeit..
  • Die Menschen waren sesshaft geworden. Sie betrieben Ackerbau und Viehzucht, errichteten feste Hütten (Häuser) aus Holz, Lehm oder Gestein und begannen, sich örtlich und regional zusammenzuschließen.
  • Die bislang übliche alters- und geschlechtsbezogene Arbeitsteilung (Jagen, Sammeln, Werkzeuge herstellen, Lagerstelle schützen und versorgen) spezialisierte sich zunehmend. Bauern, Viehzüchter und Hirten wurden neue Arbeitsschritte und -methoden abverlangt. Die Versorgung mit Kleidung, Nahrungsmitteln, Werkzeugen wurde hauswirtschaftlich (von den Anwohnern des Hauses) und gemeindlich betrieben.
  • Bestattungen wurden lokalisiert und ritualisiert. Verstorbene fanden in einem Schacht oder als Leichenbrand in einer Urne (Totenhaus) eine Ruhestätte. Die Grabstellen bedeckte oft ein Erdhügel, umrandet von einem Graben, einem Stein- oder Pfostenkranz (Hügelgräber).
  • Der Austausch von Waren regionaler Kulturgruppen über "Fernwege" nahm an Bedeutung zu. (Die prähistorische Handels- und Wanderstraße, die von Köln bzw. Frankfurt über Balve zum Hellweg führte, säumen im Raum Helle-Beckum mehrere Hügelgräber, wahrscheinlich Begräbnisstätten von Benutzern.)
  • Die Menschen hatten gelernt, Feintone dünnwandig zu formen und zu brennen, Vasen, Töpfe und Schüsseln zu stilisieren und zu schmücken (Bandkeramiker, später Schnurkeramiker, Glockenbecherleute).
  • Spinnwirtelfunde deuten darauf hin, daß sie Woll- und Pflanzenfasern zu Gewebe verarbeiten konnten. Stoffwaren ergänzten Fell- und Pelzutensilien.

Beile

Beil aus Geweih
in Knieholm mit
Leder gefüttert
Steinaxt - geschliffen
durchbohrt und
geschaftet
Steinbeil - geschliffen -
in Holzschaft eingelas-
sen, verschnürt

BRONZE- UND EISENZEIT (ab 1900 v.C.)

Im 3. Jahrtausend v. C. begannen indogermanische Völkerschaften aus dem kaukasischen Raum und aus russischen Steppenlandschaften nach Westen und Süden zu wandern. Belgen, Veneter, frühe Kelten, slawische Stämme u.a. durchzogen im folgenden Jahrtausend die norddeutsche Tiefebene auf der Suche nach günstigeren Lebensbedingungen (osteuropäische Steppen verdorrten). Etwa 1000 Jahre später drangen Nachfahren der süddeutschen Urnenfelderkultur nach Nordeuropa vor. Schubweise erreichten sie das Hönnetal. Ihre Wanderzüge hinterließen bedeutsame Spuren:

  • Viele Fluß-, Orts- und Bergnamen im Sauerland und Hellwegraum sind indogermanischen (vor-/ frühkeltischen) Ursprungs (Ruhr, Ennepe, Lippe, Hönne - Bigge, Brilon, Villigst, Geseke, Olpe, Balve (Ballofa) - Ardey usf.)
  • Die von Süden, Nordwesten und Nordosten zur späten Bronzezeit eingewanderten Urnenfelderleute beherrschten die Herstellung und Verabeitung von Kupfer-Zinn-Legierungen. Sie stellten "harte" Gerätschaften und feine Schmuckwaren her. (Gießen, Kneten). Bronzene Gegenstände ersetzten auch im heimischen Raum Zug um Zug viele der bislang gebräuchlichen Werkzeuge aus Stein, Holz oder Bein. Sie wurden schließlich begehrte Handelsware.
  • Funde deuten darauf hin, dass spätestens 700 v. C. im sog. Hönnetalkessel zwischen Klusenstein und Binolen ein "organisiertes Siedlungszentrum" entstanden war (eine der Balver Ursiedlungen?). Kulturrelikte dieser Zeit verdeutlichen den Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit.
  • Die völkische Zusammensetzung dieser und anderer Balver "Ursiedlungen" (Silhaue) ist nicht bestimmbar. Eigenart von Völkerwanderungen ist, daß nicht alle Angehörigen eines wandernden Volkes (Kulturkreises) eroberte Siedlungsgebiete wieder verließen. Ein Teil blieb jeweils zurück und verschmolz mit Ansässigen oder Neusiedlern. Sprachliche Verwandtschaft erleichterte eine Assimilation. Auch im heimischen Raum wird eine indogermanisch geprägte Mischbevölkerung gelebt haben..
  • Sie übernahm die Fluß-, Berg- und Ortsnamen aus indogermanischen Wandertagen, die - lautlich verändert - allen Wandlungen der Zeit überdauerten.
  • Zahl und Art der bronzezeitlichen Funde lassen auf zeitlich begrenzte Landnahmen und eine geringe Besiedlungsdichte des Balver Raumes schließen..

Mit der Eisenzeit beginnt die dritte kulturgeschichtliche Epoche, die nach vorherrschend genutzten Materialien benannt worden ist. Drei Abschnitte kennzeichnen die west- und mitteleuropäische Antike:

  • die keltisch geprägte Hallstattzeit (700 - 500 v.C.) im böhmisch-österreichisch-
    bayrischen Raum
  • die keltische Hochkultur zur Laténezeit (500 v. C. bis 0) mit dem Schwerpunkt
    in Süddeutschland, der Nordschweiz und Ostfrankreich
  • die Vorrömische und Römische Kaiserzeit

Die ethnische Ausbreitung der Kelten in Deutschland endete etwa auf der Linie Siegerland - Eifel. Trotzdem wurden in Balver Höhlen und Fluren Tausende Artefakte und Siedlungsrelikte gefunden, die der Hallstattkultur zuzuordnen sind (eiserne Werkzeuge, Keramikscherben, Reste von Kulturpflanzen, "Luxusgüter" wie Bernstein- und Glasperlen, bronzene Fibeln, Kettchen, Ringe, Goldplättchen). Sind nun - ist zu fragen - diese Gegenstände Eigenprodukte oder über die prähistorische Straße (Köln/Frankfurt - Balve - Hellweg - Norddeutschland) gehandelt worden?

Kelten waren Meister in der Herstellung von Gebrauchwaren aller Art (Massenproduktion in "Fabriken"). Sie beherrschten das Schmieden stählerner Waffen (Damaszieren) ebenso wie die künstlerisch-ästhetische Gestaltung anspruchsvoller Güter (Tauschieren mit Gold- und Silberdrähten). Reiche Kaufleute und gewiefte Händler organisierten ein Transportwesen, das von Italien bis Skandinavien, von Frankreich bis zum Baltikum, von Spanien bis Britannien reichte. Ihre Produkte tauschten sie gegen Salz, Fisch, Erze, Bernstein, Faserstoffe und andere Rohmaterialien, immer auf der Suche nach gewinnträchtigen Erwerbsquellen. Auf diese Weise werden durchreisende Kelten auch die Erzvorkommen des Balver Raumes entdeckt haben.

Das Hönnetal ist von Hallstätter Kelten nicht besiedelt worden. Naheliegend ist jedoch, daß Händler den Hönnetalern die Kunst der Erzschmelze und Metallverarbeitung vermittelten. Keltische Kaufleute waren immer begierig, neue Märkte zu entdecken und in ihr Handelssystem einzubeziehen. Einige Forscher vertreten die Auffassung, daß sich das Dreieck Sieger-, Sauer-, Wittgensteiner Land zur Hallstattzeit zu einer Art Ruhrgebiet entwickelte. Für Balves Historie ist von Bedeutung, dass im Hönnetal bereits vor der Zeitenwende Schmelzer und Schmiede tätig waren - und nicht erst seit dem (frühen) Mittelalter, wie allgemein angenommen wurde.

Um 500 v. C. verschlechterte sich das Klima in Nordeueropa, offenbar Anlass, die sauerländische Bergwelt wieder einmal zu verlassen. Erst zur jüngeren Laténezeit wird das Balver Land wieder dichter besiedelt, wie aus Art und Zahl der Funde, vorwiegend Irdenware, zu schließen ist.

KULTE UND KULTHÖHLEN

Über die religiösen Bedürfnisse und Praktiken steinzeitlicher Menschen wird oft spekuliert. In Wirklichkeit wissen wir nichts Genaues. Einzel-, Hünen-, Hügelgräber, Urnen- und Steinkistengrabstätten teilen uns etwas über die Bestattungsart mit; auch Beigaben und Höhlenzeichnungen (Frankreich, Spanien) lassen sich nur bedingt kulturgeschichtlich auswerten. Erst mit der Sesshaftwerdung zur Jungsteinzeit zeichnen sich genauere Konturen der religiösen Vorstellungen und Riten ab. Die Erfahrung der Ackerbauern, dass die Güte ihrer Ernten wetter-(klima-)abhängig ist, intensivierte Kultsysteme, die Hilfe und Segen versprachen. Die Fruchtbarkeit der Erde, aber auch die der Frauen, war von existentieller Bedeutung geworden. "Mutter Erde" musste freundlich gestimmt werden.

In der Burg-, Honert-, Karhof- und Leichenhöhle entdeckten Graber eine größere Zahl weiblicher bzw. männlicher Leichenteile. Die Frage, ob diese Höhlen nur rituelle Begräbnisstätten waren, als Opferplätze für Erdgeister genutzt wurden oder der Verehrung benamter Göttlichkeiten dienten, läßt sich nicht eindeutig beantworten. Vor allem fehlt eine exakte zeitliche Einordnung der Fundhorizonte über radiometrische Daten, so dass kulturgeschichtliche Vergleiche der Spekulation unterliegen. Einigermaßen aussagekräftig ist lediglich die Leichenhöhle im Grübecker Berg.

Der Eingang zum 27 m langen niedrigen Höhlenschlauch (engste Stellen: 35 cm breit, 80 cm hoch) ist schwer zugänglich. In der sog. Grabkammer am Höhlenende (20 qm) lagerten Skeletteile von 16 jüngeren und älteren Frauen (Schädel- und Kieferreste, Knochen und Fingerglieder), umgeben von etwa 50 Arm- und Halsreifen, Finger- und Ohrringen, Glas- und Bernsteinperlen) - offenbar rituell zur Verehrung eines göttlichen Wesens angeordnet. Scherben irdener Gefäße und Nahrungsmittelreste umgaben eine Feuerstelle. Art und Zuordnung der weiblichen Leichenteile lassen auf postmortale Bestattungsriten schließen.

Ein makabrer Vorgang mag sich abgespielt haben: Von einer weiblichen (andernsorts männlichen) Leiche sind ausgewählte Körperteile getrennt worden. In feierlichem Zug werden sie zur Höhlenkammer getragen und zur Ehre der "Erdgöttin" in der Tiefe des Berges nach vorbestimmten Ritus niedergelegt. Die Trauernden schmücken das Grab mit "Pretiosen" der Verstorbenen und persönlichen Opfergaben. Ein symbolisches Totenmahl begleitet ihren Weg ins Jenseits.

GERMANEN IM SAUERLAND

Vom 1. bis zum 4. Jh. besetzten Sugambrer (Chattuarier) das Sauerland, im 4. und 5. Jh. eroberten Brukterer den Raum zwischen Sieg und Lippe. Sie unterwarfen die ansässige Bevölkerung und schufen bäuerliche Anwesen (Grabungen in Garbeck: Langhaus, Grubenhäuser). Die Völkerschaften - sprachlich-kulturelle Verbände auf der Suche nach Lebensraum - griffen die römische Rheingrenze an, wurden zurückgeschlagen, später besiegt, unterworfen, vertrieben, auch umgesiedelt. Für Balves Historie ist von Bedeutung, daß sich ein Teil dieser Stämme der Vertreibung oder Umsiedlung zu entziehen wusste und schließlich mit der Altbevölkerung, auch neuen Eindringlingen, verschmolz. Als merowingische Franken, später Sachsen, das Sauerland in Besitz nahmen, fanden sie eine bereits vielfältig gemischte Bevölkerung vor.

Nur wenige Funde sind der Römischen Kaiserzeit zuzuordnen: Die Irdenware aus Kalkhöhlen des nördlichen Sauerlands, Metallwaren aus der Großen Burghöhle und einige Freilandfunde stützen jedoch nicht die Auffassung, dass römische Legionäre das Hönnetal durchzogen. Die Legionen des Drusus, Tiberius und Germanicus (12 v. C. bis 15. n. C.) mieden das waldreiche Sauerland. Allerdings wird der gewalttätige Kriegszug des Tiberius entlang des Hellwegs unter den Germanen Fluchtbewegungen ausgelöst haben. Nahe Urwälder und Höhlen boten den Fliehenden sichere Verstecke und Schlupfwinkel. Ihre Aufenthalte hinterließen natürlich Spuren, nämlich das, was Graber und Sammler fanden und irrigerweise römischer Gegenwart zuschrieben.

Erst im 7 Jh. erreichten Sachsen Eisborn. Schubweise besiedelten sie das damals nur schwach besiedelte Hönnetal. Ansässige wurden bei Widerstand getötet, Überlebende unterworfen, versklavt und dienstbar gemacht. Die Großfamilien der sächsischen Edlen und Freien richteten sich auf Einzelhöfen inmitten zugehöriger Äcker und Fluren ein. Unfreie und Halbfreie dienten den neuen Herren. Liten (Kolone) bewirtschafteten abgelegene Nebenhöfe. Lang- und Grubenhäuser waren Wohn- und Arbeitsstätten. Diese Siedlungsstruktur - prägte Jahrhunderte den Balver Raum. Erst zu fränkischen und ottonischen Zeiten entwickelten sich aus Einzelhöfen bzw. Sippensiedlungen dorfartige . Häusergruppierungen, wie alten Karten zu entnehmen ist..

Die Versorgung war innerhalb einer Hofgemeinschaft arbeitsteilig organisiert. "Hauswirtschaft" sicherte den Bedarf der Herren und Dienstpflichtigen an lebenswichtigen Gütern.
Auf die Kunst Unterworfener, Metallwaren für Haus und Hof, Jagd und Krieg herzustellen, konnten die eingewanderten Sachsen noch nicht verzichten. So nahmen sie klugerweise die Dienste eingesessener Schmelzer und Schmiede in Anspruch. Dieser Vorgang sicherte die "eisenwirtschaftliche Kontinuität" bis zum Mittelalter.

DER ORTSNAME BALVE

Über die Herkunft des Ortsnamens Balve ist oft nachgedacht und spekuliert worden. Ausgehend von den Altnamen "ballowa" (Vita Ludgeri, 9. Jh.) und "ballofa / kallava" (Dietrichsage, 13. Jh.) glaubten Heimatkundler, zur Deutung frühgermanische Sprachwurzeln bemühen zu können. Gegenstand ihrer Überlegungen waren auch die noch im 13. Jh. gebräuchlichen lautverwandten Orts-, Familien- und Adelsnamen Baleve, Ballevan, Balava, Ballevo u.a. Interessant sind die Ergebnisse ihrer Deutungs- bzw. Übersetzungsversuche:

  • "ballowa", mhd. bolivar / bolevar = Bollwerk, in der Bedeutung Verteidigungsanlage
  • dänisch baal = Scheiterhaufen bzw. das altsächsische balu = Gerichtsplatz, in der Bedeutung Richtstätte
  • "baal" = Scheiterhaufen in Verbindung mit lev (hlev) = Grabhügel - ein Ort des Unheils
  • Selbst römische Literatur wurde bemüht, um sprachliche Herkunft zu begründen.
    Im "Engpass bei Arbalo" war Drusus auf dem Rückzug aus dem Cheruskerland
    in einen Hinterhalt geraten. Man glaubte, im "Hönnetalkessel bei Binolen" den
    gesuchten Engpass gefunden zu haben. In Wirklichkeit ist Arbalo der Altname für
    die heutige Ortschaft Eringerfeld am alten Hellweg.
  • Der Hohle Stein ist der gesuchte Berg Ballowa, die Balver Höhle die Bergwohnung der beiden Zwerge, Wielands Lehrmeister. Das Wort bedeutet "willkürlich" übersetzt "überhängende Felsmassen" oder "übereinandergestürzte Steinmassen" (bal = Fels, Gestein + obar = oben, über drüber). Die Balver Höhle entspricht jedoch in keiner Weise diesem Bild. Jahrtausende füllten Lehmberg und Ablagerungsschichten das Höhleninnere aus.

Tatsächlich sind die Silben "bal(l)" und owa nicht germanischen, sondern indogermanischen (evtl. frühkeltischen) Ursprungs. Die Sprachwurzel "bal" ist Kernwort vieler Orts- und Bergnamen im deutschsprachigen Wander- und Siedlungsgebiet der Kelten (700 - 100 v. C.), aber auch in Britanien und Schottland (Gälisch-Cymrisch). Sie benennt "bloße" Berge und Kalkfelsen, auch "nackte" Hügelketten oder leuchtende Bergspitzen, bedeutet adjektivisch gebraucht auch hell, weiß, kalkig. "Owe(a)" wiederum ist sprachlich mit dem frühindogermanischen "akwa" = Wasser, Fluss verwandt. Über viele Entwicklungsstufen nahm es in Wortverbindungen die Bedeutung "Land im (unter) Wasser", auch Feuchtwiese / Aue an.

Danach ist "ballowa" ursprünglich der Name für einen markanten Berg (ein helles Felsmassiv) an einer Fluss-/Auenlandschaft. Der Klusenstein mit der Großen Burghöhle am Ende des sog. Hönnetalkessels entspricht diesem Bild auffällig. Es liegt nahe, dass der Bergname "ballowa" unter Ansässigen auch als Orts- bzw. Landschaftsname gebräuchlich war. Diese Überlegungen werden von folgenden Fakten gestützt:

  • Viele Orts, Berg und Flußnamen vom Sauerland bis zur Lippe sind indogermanischen Ursprungs.
  • Die Oberflächengestalt des Hönnetalkessels förderte die Bildung einer Auenlandschaft. Noch vor einigen hundert Jahren standen die Berghänge an seinem Ende (Uhufelsen) standen so dicht beieinander, daß sich in Regenzeiten Hönnewasser in der Flussniederung stauen konnte. Reste eines früheren Auenwaldes (Schluchtwaldes) sind noch zu erkennen.
  • Das Erscheinungsbild des Klusenstein (Burgbergs) entspricht noch heute (trotz Eisenbahntrasse) den mit der indogermanischen Sprachwurzel "bal" verbundenen Bedeutungen und Vorstellungen (s.o.).
  • Die Übertragung eines markanten Bergnamens auf Wohnstätten und organisierte Gemeinschaften ist siedlungsgeschichtlich relevant.
  • Dieser Vorgang gibt auch der Sage von Wieland dem Schmied, der in der Bergwohnung ballofa bei zwei Zwergen das Schmiedehandwerk erlernte, eine gewisse geographische Authentizität.

Balve wird zum erstenmal urkundlich in der Lebensbeschreibung des hl. Ludger, der "vita ludgeri", erwähnt. Ein Mönch der Abtei Werden bei Essen berichtete, daß ein blindes Mädchen aus "villa quae ballowa" an seinem Grab 864 Heilung suchte und fand. Die lateinische Wortgruppe ist vieldeutig, wird aber allgemein mit "Dorf namens Balve" übersetzt, obwohl es damals eine dörfliche Ansiedlung im heutigen Sinne nicht gegeben haben kann. Sachsen lebten im 9. Jh. auf Einzelhofanlagen. Lateinkundige verstanden damals unter "villa" ein herrschaftliches Anwesen von Bedeutung. So liegt nahe, unter "ballowa" im 9. Jh. einen größeren Siedlungsraum zu verstehen, der einem sächsischen Gau entsprach, dessen Grenzen sich mit der alten Balver Markgenossenschaft decken mochte. Erst zu ottonischer Zeit verdichtete sich die Besiedlung im Hönnetal, entwickelten sich um Einzelhöfe oder Herrenhäuser (Rittergüter) Siedlungen mit Dorfcharakter.

GÖTTERWELT - CHRISTIANISIERUNG - FEUDALISMUS

Karl der Große und seine Nachfolger christianisierten mehr oder weniger gewaltsam die sächsischen Lande. Auf welche Weise christliche Glaubensvorstellungen Wodanskult und Asenverehrung im Hönnetal verdrängten, ist im einzelnen nicht mehr nachzuvollziehen. Wahrscheinlich wirkten auch hier fränkische Missionare. Bedeutsam ist, dass Kaiser Karl jeder Pfarrei feste Grenzen zuwies. Auch die weltliche Verwaltung der Territorien lag anfänglich in den Händen der Gemeindepfarrer. Reste "heidnischer" Vorstellungen wurden ausgemerzt.

Nur wenige Balver Flur- und Dorfnamen erinnern an vorchristliche (altsächsische) Zeiten. Im Bereich der Gleiern und Helle (Totengöttin Hel) soll sich eine vorchristliche Begräbnisstätte und ein "Göttertempel" befunden haben. Der Ossenkamp war möglicherweise ein Ort, an dem das Göttergeschlechts der Asen (Asenwald) verehrt wurde, der Thing eine Versammlungsstätte des Gaus, an der beraten und gerichtet, über Krieg und Frieden entschieden wurde. Der nahe Galgenberg diente noch im 17. Jh. als Richtstätte (Hexenverfolgungen). Die ing-Silbe in den Dorfnamen Frühlinghausen, Höveringhausen, Volkringhausen weist auf spätere Siedlungsrodungen hin.

Die in der Vita Ludgeri erwähnte Begebenheit und andere Quellen sagen aus, dass die Christianisierung des heimischen Raumes im 9. Jh. abgeschlossen war. Die erste christliche Gemeinde gehörte bis ins 12. Jh. als Tochterkirche zur Urpfarrei Menden. Ende dieses Jahrhunderts. errichteten die Herren des Oberhofes auf ihrem Besitz ein Gotteshaus (Patrimonialkirche - formal noch heute), das im 13. Jh. zu einer spätromanischen Hallen-kirche (Fresken) erweitert wurde. Der Grundstein für die heutige St.-Blasius-Pfarrkirche wurde 1910 gelegt. Dombaumeisters Prof. J. Buchkremer gelang, die romanische Altkirche in den "neugotischen Erweiterungsbau mit Oktogonkuppel" einzubeziehen und die beiden Baustile wirkungsvoll zu verbinden. Die St.-Blasius-Kirche ist das bedeutendste sakrale Bauwerk der Stadt.

Mit der Integration der rebellischen Sachsen in das Frankenreich begann auch für den heimischen Raum eine neue Epoche. Feudalistische Strukturen verdrängten die altsächsische Gau- und Stammesverfassung. Karl der Große hatte verdiente Gefolgsleute als Grafen eingesetzt, sie mit Lehen ausgestattet und ihnen die Verwaltung ihrer Territorien übertragen. Sie wiederum versorgten Männer ihres Vertrauens mit Lehnsgütern. Als Ministeriale (bzw. Ritter) dienten sie dem Lehnsherrn. Ihre "festen" Häuser (Burgen) - umgeben von landwirtschaftlichen Gütern - wurden zu Mittelpunkten des wirtschaftlichen und sozialen Geschehens. Nur wenigen Hönnetaler Bauern gelang es, Freiheit zu bewahren, eignen Grund und Boden zu bewirtschaften. Die vom Grundherrn Abhängigen (Hörige, Hintersassen) hatten belastende Abgaben und Dienste zu leisten. Schon die Zahl der Herrenhäuser im Balver Raum verdeutlicht den sozialpolitischen Wandel der Zeit. Herrenhäuser standen im 13. Jh. in Wocklum, Beckum, Eisborn, Benkamp, Garbeck, Mellen, Binolen, Blintrop, Affeln und Gevern). Feudalismus und Glaubenseifer bestimmten zu jener Zeit den Tagesablauf der Menschen.

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