HÖHLEN IM HÖNNETAL
Wem
es Freude macht, auf schmalen, oft versteckten Pfaden entlang der Hönne
zu wandeln, der kann an Uferhängen und in Felspartien von Frühlinghausen
bis Oberrödinghausen manche der ursprünglich 75 Höhlen entdecken,
welche die Massenkalkformationen im mittleren Hönnetal hinterlassen
haben.
Ihre Eingänge gleichen nicht selten engen Schlupflöchern oder
spaltartigen Öffnungen, hinter denen sich Hohlräume (Karhofhöhle),
enge Gänge mit Kammern (Leichenhöhle) oder weitläufige Höhlensysteme
(Reckenhöhle) ausbreiten. Von der Friedrichshöhle führen
stufenweise Schächte und Klüfte in die "Hönnetaler
Unterwelt", eine erst streckenweise erforschte unterirdische
Flußhöhle.
Ganz anders präsentieren sich die Balver Höhle und die Feldhofhöhle.
Ihre hohen Dekkengewölbe und Eingangsbereiche gleichen offenen
Hallen. Von archäologischer und paläontologischer Bedeutung sind
die sog. Kultur- bzw. Kulthöhlen. Allein in der Großen Burghöhle
am Klusenstein wurden zigtausende Funde geborgen. Ablagerungen
(Kulturschichten), tierische Relikte und Zeugnisse menschlicher Tätigkeiten
spiegeln erdgeschichtliche Entwicklungen (Klima, Flora, Fauna) wider
oder berichten von der kulturellen Entwicklung des homo sapiens vom
Neandertaler, über den Cro-Magnon-Menschen und Rentierjäger bis
zum Jetztmenschen über 100 000 Jahre.
Höhlen werden erst dann wirklich interessant,
wenn man ein wenig über ihre Entstehungsgeschichte und über ihren
Nutzen für Menschen und Tiere im Wechsel erdgeschichtlicher Veränderungen
weiß.
WIE HÖHLEN ENTSTANDEN
Vor 350 Mio. Jahren bedeckte auch das Sauerland
ein flaches, warmes, sauerstoffreiches Salzmeer, ein geeigneter
Lebensraum für Korallen und andere Schalentiere. An der Nordküste
des Belgisch-Westfälischen Meeresarmes wuchsen zur Devonzeit
ausgedehnte Korallenriffe wie heute in der Südsee heran
(Barriere-Riff in Australien). Die unverwechsbaren Gehäuse aus
Calcit zerrieb die Riffbrandung zu Kalkschlämmen. Auf dem
Meeresgrund häuften sich ihre Ablagerungen in Jahrmillionen zu
hohen Bänken, die schließlich unter thermischen Einflüssen zu
Massenkalkformationen von Wuppertal über Balve bis Warstein /
Brilon "versteinerten". Das untermeerische
"Gebirge" aus Kalkstein erreichte bei Eisborn eine Stärke
von 1 000 m.
Mit Beginn des Tertiär vor etwa 65 Mio. Jahren
setzten weltweit die Phasen der alpinischen Gebirgsbildung ein. Die
tektonischen Verschiebungen der europäischen Festlandsplatte prägten
auch die Oberflächengestalt der heutigen deutschen Mittelgebirge
und damit des Sauerlands. Hebungen des Meeresbodens und Faltungen
der Erdoberfläche führten zur Bildung von hohen Sätteln und
tiefen Mulden (Balver Wald - Hönnetal). Tektonische Schübe
verursachten im Felsgestein Verwerfungen, Kerbungen und Abbrüche.
Besonders im homogenen Massenkalk entstanden Risse, Spalten und Klüfte
unterschiedlicher Größe und Tiefe. Einige füllte die Zeit mit
Lehmen oder Lockergestein aus, andere "verheilten" durch
die Bildung von Mineralien (Kalkspatadern, Quarzkristallager,
Roteisenstein u.a.m.), manche jedoch weiteten ihre Hohlräume, vor
allem, wenn eindringendes Oberflächenwasser erodierte oder
korrodierte Kalksteinteile ausschwemmen konnte.
Art, Form und Größe der Hönnetaler Höhlen
wurden wesentlich von klimatisch bestimmten Einflüssen geprägt.
Kaltzeiten wechselten mit Warmzeiten. Aber auch diese Klimaperioden
waren starken Temperaturschwankungen unterworfen. In hochglazialen
Perioden z. B. beherrschten Gletscher und Dauerfrostböden
Norddeutschland (Tundren), in mäßig warmen Zeiten bedeckten Laubwälder
das Sauerland. Vor etwa 2 Mio. bestimmte subtropisches Klima Flora
und Fauna der heimischen Bergwelt (Steppenlandschaften, Zedernwälder).
In Feuchtperioden versumpften Täler, Mulden und Auen. Vegetation
und Tierwelt paßten sich den klimatischen Bedingungen an. Rentier,
Riesenhirsch und Rehe bzw. Mammut, Wald- und Steppenelefant
wanderten jeweils ein oder aus oder verendeten an Nahrungsmangel.
Besonders regenreiche Zeiten haben die Gestalt
von Höhlen verändert, wie am Beispiel der Balver Höhle
verdeutlicht werden kann. Jahrtausende strömte - wenn auch
periodisch - durch den sog. Einstrudelungskanal Oberflächenwasser
der umliegenden Höhen und Hochebenen in das Höhleninnere. Die
Wasser lösten Lockergestein und zerrieben es, schmirgelten die
Seitenwänden ab und schwemmten Erosionschutt fort. Noch heute sind
Schmirgel- und Schrammspuren des "Höhlenflusses" zu
erkennen. In der Zwischeneiszeiten verwandelten die Schmelzwasser
vereister Bergspitzen das Hönnetal nicht selten in einen reißenden
Gebirgsfluss.
Die Kuppen des Balver Waldes erreichten ursprünglich
eine Höhe von etwa 1 000 m. Auch der Talgrund bei Balve lag vor 800
000 Jahren erheblich höher als heute, wahrscheinlich nur wenige
Meter unter dem heutigen Eingang der Balver Höhle. So konnte die Hönne
bei hohem Wasserstand Lehme, Sände, Feingerölle, aber auch
Tierkadaver oder Skeletteile in die Balver Höhle einschwemmen. Noch
vor 150 Jahren versperrte ein 15 m hoher "Lehmberg", der
fast die Höhlendecke erreichte, den Zugang zu den hinteren Höhlenarmen.
Mit Beginn warmzeitlicher Perioden vor etwa 8ooo
Jahren kam auch die Balver Höhle zur Ruhe. Auf die sog.
Rentierschicht (seit 10 000 v.C. verlieren sich die Spuren der
Rentierjäger) tropfte kalkreiches Sickerwasser, das zu kräftigen
Sinterschichten verdunstete. Sie schützten die unzähligen
Fossilien jener Tiere (Fossilien), die einmal das Hönnetal bevölkerten
und deren Relikte auf irgendeine Weise in die Höhle gelangten, aber
auch die Zeugnisse menschlicher Tätigkeiten, d. h.
Hinterlassenschaften von Horden, die auf ihren Wanderungen und Jagdzügen
in der Höhle Schutz suchten.
Mechanische und chemische Vorgänge
(Verwitterung) ließen über Jahrmillionen aus einer Spalte oder
Kluft die Balver Höhle in heutiger Größe und Gestalt entstehen.
Sie sind - allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung - auch
Ursache für die Entwicklung anderer Höhlen des Hönnetales bis zu
ihrer heutigen Erscheinung.
FORSCHER, HOBBY- UND RAUBGRÄBER
Nachdem Balver Bauern und Bürger zu Beginn des
vergangenen Jahrhunderts auf dem Höhlenvorplatz und im Lehmberg
"alte Knochen und Steinsachen" gefunden hatten, begann
sich auch die "Fachwelt" für die Balver Höhle zu
interessieren. 1815 wurde sie zum erstenmal "auf ihren Zustand
hin" untersucht, d.h. sie wurde grob vermessen. 1843 führten
die Bergämter Bonn und Siegen erste Schürfungen durch. 1844 begann
Bergwerksdirektor Noeggerath mit ersten Grabungen. Aber erst mit der
Entdeckung des Neandertalers (1856, C. Fuhlrott) wurde die
Gesamtheit und Besonderheit der Hönnetaler Höhlen zu einem festen
Begriff unter Experten. Über ein Dutzend Geologen, Archäologen, Prähistoriker,
Biologen, Hobbyforscher schürften oder gruben auf der Suche nach
"neuen Erkenntnissen". Aber sie waren keine Leute vom Fach
nach heutigen Maßstäben. Die Graber suchten, sammelten und
registrierten nur das, was für ihr Fachgebiet von Bedeutung war.
Was ihr Wissensgebiet oder ihren Interessenbereich nicht unmittelbar
betraf, blieb meist unbeachtet. Ihre Berichte in Fachzeitschriften
und Zeitungen weckten natürlich die Neugier jener, die "alte
Steine und Knochen" für ihre Privatsammlungen brauchten oder
sie sogar vermarkten wollten. Der mittelbare und unmittelbare
Schaden, den die "Wühlarbeit" der Raubgräber in Höhlen
des Hönnetales anrichtete, ist nicht abzuschätzen.
Eine interdisziplinäre Forschertätigkeit unter
paläonthologischen Aspekten begann erst mit den Grabungen von
Julius Andree (1925/26) und B. Bahnschulte (1938/39). Nach einer ergänzenden
Grabung in der Balver Höhle stellte sich K. Günter 1959 die
Aufgabe, alle vorliegenden Forschungsberichte kritisch zu
vergleichen, zu ergänzen und zu sytematisieren. Die Ergebnisse
dieser Arbeit veröffentlichte Günter 1961 und 1964.
DAS SCHICHTENPROFIL DER BALVER HÖHLE
Unter Einbeziehung der Arbeiten Bahnschultes
stellte Günter 12 deutlich voneinander unterscheidbare Schichten
fest. Die (12.) Sinterschicht aus "Tropfstein" ist in den
letzten 8000 Jahren entstanden. Weder Tierknochen noch Artefakte
wurden in ihr gefunden. Als Rentier-, Bären- bzw. Mammutschicht
werden Ablagerungen aus Klima- und Vegetationsperioden
gekennzeichnet, in denen diese Tiere (bzw. zeitgenössische Faunen)
das Hönnetal bevölkerten und dem Menschen Nahrung und Bedarfsgüter
lieferten. Von besonderer Bedeutung wurden die Untersuchungen der
materiellen Zusammensetzungen der einzelnen Schichten. Lehme, Sände,
Gerölle und Verwitterungsschutt wurden schichtweise gesiebt, geschlämmt
und auf Pollen untersucht und stratigrafisch eingeordnet. Vergleiche
der Funde (Fossilien, Artefakten) mit denen anderer Regionen unterstützten
zeitliche Festlegungen. Auf diese Weise konnten Alter und Herkunft
der Ablagerungen, aber auch Klima und Vegetationsart der Landschaft
genauer bestimmt werden. Manche bislang gültige Vorstellungen wurde
bestätigt, andere mussten korrigiert werden:
- So ist die tiefste (Ton-)Schicht, etwa 7 m unter dem heutigen
rechten Höhleneingang bereits zur Saale-(Riß-)Eiszeit vor etwa
200 000 Jahren abgelagert worden.
- Funde der 2. Schicht (Werkzeuge) konnten bereits dem Spätacheuleen
zugeordnet werden. Das bedeutet: der klassische Neandertaler
erreichte schon zur Eem-Warmzeit vor etwa 100 000 Jahren das Hönnetal.
- Mit Beginn der Würmeiszeit vor rd. 80 000 Jahren mußte der
Neandertaler seine Lebensgewohnheiten den veränderten
klimatischen Bedingungen anpassen. Die Grenzen seiner
Anpassungsfähigkeit waren offenbar vor etwa 40 000 Jahre, dem
glazialen Höhepunkt der Würmeiszeit, überschritten. Der
Neandertaler starb aus.
DER MAMMUMT - STOSSZAHN
Bei Schürfgrabungen entdeckte 1938 H. Werli die
Spitze eines elfenbeinernen Gebildes, das ein Jahr später Bahnschulte
freilegte. In der Balver Höhle wurde der drittgrößte Stoßzahn der
Welt gefunden, wie Messungen ergaben. Die Restauratoren in Münster
mussten ganze Arbeit leisten, um die ursprüngliche Größe und Form
des "vollkommen mürben" und "plattgedrückten"
Fundes rekonstruieren zu können. Das Ergebnis waren Nachbildungen
von 4,2 bzw. 4,4 m Länge, die in Münster und Balve zur Schau gestellt
wurden. Die fossilen Orginale sind leider mit ihrer Auslagerung
ein Opfer des Bombenkrieges geworden.
Natürlich zerbrachen sich Experten den Kopf darüber,
auf welche Weise der Stoßzahn in die Höhle gelangt sein konnte.
Dass der Neandertaler Mammute jagte, in Fallgruben zur Strecke brachte,
zerlegte und seine Teile nutzbringend verwertete, steht außer Zweifel.
Mammutknochen und Stoßzähnen dienten ihm aber auch. als Gestänge
für zeltähnliche Behausungen oder als Wetterschutz-Versteifungen
vor Felsüberhängen (Apis) oder in Höhleneingängen. So liegt die
Vermutung nahe, daß eine Horde den ursprünglich breiten Spalt rechts
vor dem Höhleneingang mit einigen Mammutknochen und Fellen gegen
Wind und Wetter zu schützen suchte und als Behausung einige Zeit
nutzte.
1993 tauchten jedoch Zweifel auf, ob der Stoßzahn
von einem Mammut stammt. Ihm fehlt die nach innen gewendete Krümmung
der Zahnenden zu einer Art Schaufel, mit der Mammute Schneeschichten
verschoben, um darunter liegende Moose und Flechten aufnehmen zu
können. Entspricht die Nachbildung im Balver Museum auch nur in
etwa dem Orginal, kann er nur einem Waldelefanten gehört haben,
der zu Eem-Warmzeiten in heimischen Gefilden anzutreffen war. Seine
nach vorne gerichteten, leicht angewinkelten Stoßzähne mussten auch
als Waffe zu gebrauchen sein.
KLUGE BAUERN - KLUGE STADTVÄTER ?
Anfang der 30er Jahre des 19. Jh. entdeckten
einige heimische Bauern den "Lehmberg" hinter dem Höhleneingang
als ergiebige Düngemittelquelle. Die Wirkung des Naturdüngers beim
Aufwuchs ihrer Erzeugnisse sprach sich schnell herum. Bald beluden
Landwirte aus nah und fern ihre Karren mit der wertvollen
kostenlosen Höhlenerde, nachdem man den Lehm von "Steinen und
Sonstigem" gereinigt", d. h. nicht Brauchbares
fortgeworfen hatte.. Das wachsende Interesse der Landwirtschaft wussten
die Balver Stadtväter bald zu nutzen. Bereits Mitte der 40er Jahren
richteten sie zur Stärkung der Gemeindefinanzen eine "Höhlenkasse"
ein. Der Preis für eine Fuhre Lehm kletterte in den folgenden
Jahren auf 1,50 Mark, damals ein stolzer Betrag. In wenigen Jahren
war der Lehmberg abgetragen, die Sperre zum Höhleninneren
aufgehoben.
Tatsächlich war der Lehm mit hohen Anteilen an
Phosphor, Karbonaten und Humuserde durchsetzt - Ergebnis von
Verwesungsprozessen und chemischen Einwirkungen über Jahrtausende.
Die Höhle war nicht nur Wohnstätte für manche größeren und
kleineren Tiere, sondern auch Hort für Raubtiere, die ihre Beute in
den Höhlenraum schleppten und hier fraßen. Unzählige Kadaver und
Skeletteile werden aber auch eingeschwemmt worden sein. Der
menschliche Anteil an der Düngemittelproduktion ist minimal. Weder
Neandertalerhorden noch Rentierjägergruppen nutzten Balver Höhlen
als Dauerquartiere. Das schließt nicht aus, daß sie in ihnen vorübergehend
Schutz suchten, hin und wieder gejagtes Wild ausweideten und
verzehrten. Manche Funde (Artefakte) lassen auf diese und andere
menschliche Tätigkeiten vor und in der Balver Höhle schließen.
Aus wissenschaftlicher Sicht handelten weder
Bauern noch Stadtväter allzu klug. Fossilien, Keramikscherben,
Werkzeuge, wahrscheinlich auch Brandspuren und Nahrungsmittelreste
landeten auf dem Abfallhaufen, kullerten sozusagen den damaligen
Steilhang vor der Balver Höhle hinunter. Den größten Schaden
richtete die Stadt 1878/79 an. Sie ließ den sog. Virchowarm ausräumen
(nivellieren), um den Höhlenhang zu einer "Terrasse" auffüllen
zu können. Das Museumsamt Olpe hat eine Bebauung des sog. Höhlenvorplatzes
untersagt; es vermutet, daß im "Schuttberg" unter der
Terrasse noch bedeutende Zeugnisse der Vergangenheit verborgen
sind..
DIE HÖHLE SOLLTE GESPRENGT WERDEN
Der zweite Weltkrieg ist an der Höhle nicht
spurlos vorübergegangen. Vor der Höhle waren vorübergehend
Flakgeschütze postiert. Hinter dem mit Tannengrün getarnten
Eingang wurde ein Militärdepot angelegt.
Der Einzug der Üerdinger Waggonfabrik als Rüstungsbetrieb für
Motoren in die Balver Höhle führte zu baulichen Maßnahmen, die
das bis dahin im wesentlichen naturbelassene Höleninnere und -äußere
geradezu entstellte. Der Eingang wurde zugemauert, der Höhlenboden
egalisiert und zur Aufnahme von Maschinen befestigt, die sog,
Kapelle im Dechenarm erhielt aus Sicherheitsgründen eine hohe
Beton-Steinmauer. Gefangene trieben durch den Fels einen Tunnel zum
Haus Sauer, dem damaligen Verwaltungsgebäude des Betriebes.
In der nun bombengeschützten unterirdischen
Fabrik arbeiteten bis zu 500 russische und französische
Zwangsarbeiter - vorwiegend Frauen - unter entwürdigenden Umständen.
Sie waren im "Lager Sanssouci" untergebracht.
Dokumentierte Zeugenaussagen berichten von grausamen
Behandlungsmethoden.
Diese Fakten veranlassten die britische Militärregierung,
die Sprengung der Höhle zu verfügen. Dagegen lehnten sich beherzte
Bürger mit den ihnen damals zur Verfügung stehenden Mittel
energisch auf. "Rettet die Höhle" war der Titel eines
Aufrufs, der das Unheil abwenden sollte. Entscheidend war jedoch
eine fundierte, klug verfasste Denkschrift
unter Federführung der Balver Heimwacht, in der die
kulturhistorische Bedeutung der Höhle belegt wurde. Sie rüttelte
sowohl die westfälische Öffentlichkeit als auch die
Besatzungsmacht auf. Die Briten verzichteten auf die Sprengung.
Den damaligen Amtsdirektor erreichte am 19.09. 1945 folgendes
Telegramm:
WIE
SOEBEN DAS HAUPTQUARTIER DER MILITAERREGIERUNG MIR FERNMUENDLICH
EROEFFNETE HAT HERR GENERAL ROBERTSON MIT DEM GESTRIGEN TAGE
ENTSCHIEDEN DASS DIE BALVER HOEHLE NICHT GESPRENGT WIRD STOP ES WIRD
ABER AUS DRUECKLICH GEBETEN VON EINER VEROEFFENTLICHUNG DIESER
MITTEILUNG VORERST ABSTAND ZU NEHMEN DA DIE BRITISCHE
MILITAERREGIERUNG IHRERSEITS DIE PRESSEVEROEFFENTLICHUNG IN DIE WEGE
LEITET
DR JOSEF BUSLY MINISTERIALRAT
DAS INNERE DER HÖHLE
Wer
den 11 m hohen Eingangsbereich durchschreitet, blickt in die mächtige
Haupthalle des "Felsendomes", die sich nach etwa 24 m in
zwei Nebenarme teilt. Der linke Arm wurde nach dem bekannten Arzt
und Forscher Dr. R. Virchow benannt, der hier 1870 zwei Tage grub
und sammelte. Der rechte Seitenarm trägt den Namen des
Oberberghauptmanns H. Dechen. Er erforschte ein Jahr später diesen
Teil der Höhle mit den beiden Seitengängen. Die südliche
Ausbuchtung des Dechenarmes, die sog. Kapelle, endet in einem
dolinenartigen Schlot, der für die Bewetterung (Luftfeuchtigkeit;
Durchzug) der Höhle von Bedeutung ist. Die Betonmauer -während des
Krieges errichtet - sollte vor weiteren Einbrüchen im Schlotbereich
schützen.
DIE HÖHLE ALS FESTSPIELHALLE
Jeder Ortsteil der Stadt ist stolz auf seine Schützenhalle.
Nur der Stadtkern, d. h. die "alte" Stadt Balve, hat es
nicht zu einem Bürgerhaus oder repräsentativen Festsaal gebracht.
Die Erklärung ist einfach. Seit über 150 Jahren feiert die Balver
Schützenbruderschaft St. Sebastian ihr Fest im
"Felsendom". An den drei Festtagen beleben Tausende
trinkfeste Gäste von nah und fern die Höhle und ihren Vorplatz. Höhepunkt
ist der montägliche Einmarsch des neuen Schützenkönigs unter den
Klängen des "Höhlen-Einzugs-Marsches".
Diese Tradition, aber auch die geschichts- und
sagenträchtige Vergangenheit der Höhle und die Großartigkeit der
Deckengewölbe in festlicher Beleuchtung beflügelten Heimatfreunde,
nicht nur romantische Empfindungen in Wort und Schrift zu pflegen,
sondern auch zu kulturellen Taten. Bereits 1922 verstand Theodor Pröpper,
später Ehrenbürger der Stadt, das "steinerne Wunder" zu
nutzen. Unterstützt von der Balver Heimwacht führte er
Mysterienspiele auf, in die viele Balver Bürger als Mitwirkende
einbezogen wurden. Auch nach "dem verlorenen Krieg (sollten)
die unvergleichbaren Möglichkeiten der Balver Höhle als Raum für
die Gestaltung des Laienspiels" wieder genutzt werden. 1949
riefen Th. Pröpper und Hermann Wedekind die Balver Höhlenspiele
ins Leben, die einige Jahre erfolgreich agierten. Diesen Gedanken
belebte Weddekind 1984 neu. Der ein Jahr später gegründete Verein "Festspiele
Balver Höhle" veranstaltet seitdem Konzerte, Theater und Bühnenspiele
auf hohem Niveau.
Die Höhle wurde zu einem Magnet für
Veranstalter und Freunde kultureller Ereignissse. Vereine und
Unternehmen nutzten Halle und Nebenarme für festliche oder repräsentative
Vorhaben. Die Stadt (Kreis) organisierte Sinfoniekonzerte und
Jazzfestivals mit hohem Besucherzuspruch. Unter Werner Trauds Regie
entwickelte sich die "Märchenwoche" zu einem
Kassenschlager. Seit 1997 kooperieren Stadt und Festspiele Balver Höhle
organisatorisch und finanziell. Der Verein FBH wurde mit neuestem
technischen Gerät ausgestattet, um den Besucherstrom von Frühjahr
bis zum Herbst reibungslos abwickeln zu können.
Dass die Höhle zu einem Kulturzentrum von überregionaler
Bedeutung wurde, ist nicht nur den bedeutsamen kulturellen Angeboten
heimischer Akteure zu verdanken. Die Höhle vermittelt eine
besondere Atmosphäre. Die außergewöhnlich feintönige Akustik und
die vielfarbigen Lichtreflexe im Kalkgestein des Gewölbes
vermitteln eine Stimmung, die Besucher vergessen lässt, daß die
Raumtemperatur nicht selten wärmere Kleidung empfiehlt, daß hin
und wieder Sickerwasser von der Höhlendecke tropft. Veranstaltungen
in der Höhle haben ihren besonderen Reiz.
|
Den nachhaltigsten Eindruck hinterläßt die Felsenhalle
bei musischen Veranstaltungen und voller Ausleuchtung
|
SICHERHEIT UND UNTERHALTUNG DER ANLAGEN
von Theodor Schmitz
Die Schützenbruderschaft St. Sebastian ist Pächter
der Höhle, die im Besitz der Stadt ist. Sie vermietet sowohl die Höhle
als auch das Schützenheim nebenan tageweise an Veranstalter nach
Vereinbarung. Ihr obliegt aber auch, für die Sicherheit und
Funktionstüchtigkeit Sorge zu tragen. Jährlich müssen dafür
erhebliche Mittel aufgewandt werden.
- Um Besucher gegen unliebsamen Steinschlag zu schützen, suchen
Fachfirmen im Frühjahr das Deckengewölbe auf Lockergestein ab,
stabilisieren oder befestigen Stellen, von denen Gefahr ausgehen
könnte.
- Beleuchtung, Wärmestrahler (Deckenheizung) und E-Anschlüsse
werden von einer Zentrale gesteuert, die ständiger Wartung
bedarf und technischen Fortschritt entsprechen muss.
- Je nach Art und Umfang einer Veranstaltung ist der Höhlenraum
mit unterschiedlich ausladenden Bühnen auszustatten und nach
Plan zu bestuhlen. Den Auf- und Abbau einer Tribühne im
Eingangsbereich für Großveranstaltungen übernimmt die Stadt
gegen Bezahlung.
Der hintere Teil des Dechenarms war Besuchern und
Veranstaltern ein ständiger Dorn im Auge. Seit 1976 trennte ihn aus
Sicherheitsgründen ein häßlicher Zaun ab. 1997 war für Bürger
und Schützenbrüder ein Glücksjahr. Auf Bitten der Balver
Landtagsabgeordneten Brigitte Herrmann stellte das Land NRW für die
Renovierung des rechten Höhlenarmes erhebliche Mittel zur Verfügung.
Den Erfolg der aufwendigen Bau- und Installationsarbeiten im Winter
1997 konnte der Vorsitzende der Schützenbruderschaft Konrad Betten
am 13. April 1998 einer großen Zahl interessierter Bürger präsentieren.
Der wohl schönste Teil der Höhle ist nach 20
Jahren der Öffentlichkeit wieder zugänglich. Die häßliche, von
der Uerdinger Rüstungsfabrik im Krieg errichtete Beton- und
Ziegelwand wurde stabilisiert und kalkfelsenähnlich
nachgearbeitet.. Der sog. Schlot, ein Einbruchsloch, wurde rundum
gesichert und auf eine Weise umgebaut, daß seine Öffnung eine
kontrollierte Bewetterung der Höhle ermöglicht. So kann die Höhle
trocken gehalten und erfolgreich beheizt werden.
Echte
Stalagmiten und Stalagtiten gibt es in der Höhle schon lange nicht
mehr. Manchmal jedoch zaubert die Natur sie fast über Nacht neu in
die Felsenhalle. Wenn nämlich im Winter nach ausgedehnten Regenfällen
plötzlich starker Frost eintritt, erstarrt das tropfende Höhlenwasser
zu Tropfstein ähnlichen Gebilden.
Besichtigungen der Höhle außerhalb der Veranstaltungen nur für
Gruppen nach Vereinbarung:
Verkehrsverein Tel.: 02375 / 926190
Wieland der Schmied
Der Nachwelt ist manche Hönnetaler Sage, die von
geheimnisumwitterten Geschehnissen aus alten Zeiten berichtet,
erhalten geblieben. Die historisch und literarisch interessanteste
Sage berichtet von Wieland dem Schmied, der bei zwei Zwergen im Berg
Ballofa das Schmiedehandwerk erlernt haben soll.
Riese Wade, Abkömmling eines seeländischen Königshauses,
hatte seinen Sohn Wieland mit 9 Jahren dem berühmten Waffenschmied
Mimir aus dem Hünenland anvertraut. Ihm diente auch Jung-Siegfried.
Als Wade erfuhr, daß Siegfried seinen Sohn schlug und mißhandelte,
holte er ihn nach drei Winter heim nach Seeland. Dort hörte er von
zwei Zwergen, die im Berg Ballofa eiserne Brünnen, Schwerter und
Helme, aber auch edles Geschmeide aus Gold und Silber besser zu
schmieden verstanden als alle anderen. Vater und Sohn wanderten zum
Berg Ballofa. Gegen eine Mark in Gold wollten die Zwerge Wieland 12
Monate lang das Schmieden lehren (Lehrgeld!). Als Wade pünktlich
nach einem Jahr erschien, weigerten sich die Zwerge, Wieland
freizugeben, weil er "so gut zu schmieden verstand".
Schließlich zahlten sie die "Mark Gold" zurück, um ein
weiteres Jahr über Wieland verfügen zu können, drohten aber, ihm
den Kopf abzuschlagen, wenn er nicht auf den Tag genau abgeholt
werde. Vater Wade - mißtrauisch geworden - verbarg beim Abschied
sein Schwert in dichtem Buschwerk. Wieland sollte sich bei drohender
Gefahr wehren können.
Wielands Schmiedekunst übertraf bald die seiner
Meister. Sie haßten ihn aus Neid. Als der Riese Wade drei Tage vor
der Zeit kam, um seinen Sohn abzuholen, fand er den Berg
verschlossen. Von der langen Reise ermüdet, legte er sich am Fuß
eines Berghanges zum Ruhen nieder. Ein Unwetter überraschte ihn im
Schlaf. Schnee, Steine und Baumstämme, die sich vom Berg lösten,
begruben ihn. Später öffneten die Zwerge den Berg. Wieland fand
seinen Vater vom Bergsturz erschlagen. Ihn dünkte nicht Gutes, weil
der bestimmte Tag schon verstrichen war. So zog er das Schwert aus
dem Busch und tötete die beiden Zwerge in ihrer Bergwohnung.
Schmiedewerkzeug und Kleinodien lud er auf ein Pferd und machte sich
auf den Weg in seine dänische Heimat, wo er neue Abenteuer und
schicksalhafte Begegnungen zu überstehen hatte. Als Hofschmied König
Nidungs erfand Wieland biegsamen scharfen Stahl. Das erste
"Ganzstahlschwert" der Welt wurde unter dem Namen "Volund"
(= Wieland) begehrte Handelsware.
Wielands Lebensgeschichte ist eine Nebenhandlung
der Dietrichsage, die im 13. Jh. von unbekannten altnordischen und
schwedischen Autoren aufgeschrieben wurde. Die Dichter beriefen sich
dabei auf altsächsische bzw. altnordische Handschriften, aber auch
auf mündliche Berichte niederdeutscher Zeitgenossen, nehmen also
Authentizität für sich in Anspruch. Die Texte der altnordischen
Thidrekssaga (3 Fassungen) und der altschwedischen Didriks-Chronik
(2 Fassungen) zu Wielands Erlebnissen in Ballofa weichen nur
unerheblich voneinander ab. Die landeskundlichen Angaben stimmen mit
der Wirklichkeit überein.
Trotzdem sind Zweifel angebracht, daß Wieland in
oder bei ballofa das Schmiedehandwerk erlernte. Die
unterschiedlichen Lautungen (ballowa (Vita Lugeri), ballofa (Th A +
B), kallava (Th. Mb), kallfua (Sv A) und kallaelffua (Sv B) spiegeln
nur ideomatische oder gar schreibtechnische Eigentümlichkeiten
wider, betreffen also die gleiche Ortsangabe. Ob es irgendwo im Hönnetal
einen Berg ballofa o.ä. gegeben hat, bleibt der Spekulation überlassen.
Ballofa (oder Ballowa) war im 8 / 9. Jh. offenbar der Name für
einen begrenzten geographischen Raum im Hönnetal, vielleicht die
Kennzeichnung der Hofanlage eines edlen Geschlechts, die auf eine
Siedlung übertragen wurde.
Wohnen und Schmieden in einem Berg setzt
"gewerblich" nutzbare Räume voraus. Lediglich die Große
Burghöhle hätte sie bieten können, keinesfalls die Balver Höhle,
die bis ins 19. Jh. der "große Lehmberg" hinter dem
Eingang versperrte. Aber in der Burghöhle wurden weder Zeugnisse
noch Spuren gefunden, die auf eine Nutzung als Waffen- und
Kunstschmiede schließen lassen. Andererseits bezeugen zahlreiche
Aschenhalden an Hängen des Balver Waldes frühzeitliche
Eisengewinnung.
Von kulturgeschichtlichem Interesse ist die
Frage, ob bereits in vormittelalterlichen Zeiten in Balve Metalle
gewonnen und verarbeitet worden sind, ob dieser Teil der Wielandsage
Wirklichkeit widerspiegelt. Sie kann nach der Auswertung der
Grabungen bei Garbeck eindeutig bejaht werden. Bereits im 1 Jh. n.
C. wird es im Hönnetal Bergleute, Schmelzer und Schmiede gegeben
haben. Sehr wahrscheinlich nutzten schon Kelten um 500 v. C. die
Erzvorkommen des Balver Umlandes und verstanden "kleinwüchsige"
Ureinwohner Metalle zu verarbeiten. Auch der ehedem gebräuchliche
Begriff "Waldschmiede" weist auf Tätigkeiten dieser
Menschen abseits landwirtschaftlich genutzter Flächen hin.
Die Wielandsage enthält alle klassischen
Merkmale germanischer Sagas der Völkerwanderungszeit: Riesen und
Zwerge, heldische Motive und außergewöhnliche Leistungen,
Hinterlist und Rachegelüste; mystische Passagen und
wirklichkeitsnahe Berichte. Die Lehrzeit Wielands bei den Balver
Zwergen läßt sich inhaltlich drei Motivkreisen zuordnen.:
- der Welt der Zwerge, die geheimnisumwittert in Bergen hausen,
Bodenschätze zu nutzen wissen und ihr Wissen trickreich zu schützen
suchen,
- dem "weltweiten" Ruf berühmter Waffen- und
Kunstschmiede an der Schwelle zum Mittelalter als Repräsentanten
neuer Techniken und Fortschrittserwartungen,
- der Schicksalhaftigkeit eines Menschen königlichen
Geblüts, der dem üblichen Heldenleben waffentüchtiger Recken
entsagt und sich technischen Entwicklungschancen zuwendet.
Wieland agiert gewissermaßen als Antiheld.
Entkleidet man diese Handlungen des schmückenden
oder mystischen Beiwerks, erhalten wir Geschichten, die reale
wirtschaftliche und soziale Vorkommnisse wiedergeben und die
Menschen in den Übergangsphasen von der alt- zur mitteldeutschen
Zeit bewegten. Erzählungen über Zwergenschicksale und berühmte
Kunstschmiede werden an unterschiedlichen Orten, auch zu
verschiedenen Zeiten entstanden sein. Um sie zu personalisieren benötigten
der Dichter eine tragende Figur, einen heldenhaften Recken oder
einen streitbaren Antihelden. Bereits die Altsage, offenbar altsächsischen
Ursprungs, auf die sich die Autoren der Thidrekssaga und
Didriks-Chronik berufen, war eine Kompilation mehrerer Motive zu
einer schlüssigen interessanten short-story, wie sie das Volk
liebte. Ob Wieland wirklich hier oder dort einmal lebte, ist ohne
Bedeutung. Entscheidend ist, ob sein Handeln und Schicksal mit der
Gedanken- und Gefühlswelt der damaligen Menschen korrespondierte.
|