Denkschrift der Heimwacht Balve

über die Bedeutung der Balver Höhle
aus Anlass der von der Militärregierung geplanten Sprengung

Die Balver Höhle stellt unter den Höhlen, nicht nur des Sauerlandes, sondern ganz Deutschlands ein einzigartiges Naturdenkmal dar, das in seiner Bedeutung für die wissenschaftliche Welt weit noch über die Grenzen Deutschlands hinausreicht. Ohne Übertreibung muß festgestellt werden, daß sie in ihrem Wert für die wissenschaftliche Erforschung der prähistorischen Zeit auf der gleichen Rangstufe steht als die bekannten schweizerischen, belgischen, französischen und spanischen Höhlen und Fundstätten. Diese Tatsache hebt die Balver Höhle hoch hinaus aus der Enge eines nur heimatlich begrenzten Interessengebietes und macht sie zu einer internationalen europäischen Angelegenheit.

Seit Jahrhunderten schon hat sich die Wissenschaft mit der Balver Höhle beschäftigt. Auf einer der ältesten geographischen Karten des Herzogtums Westfalen aus dem Jahre 1620 wird neben den Bruchhauser Steinen im Kreise Brilon die Balver Höhle als einzige Besonderheit des Landes erwähnt. Alte Lexika und Handbücher des 18. Jahrhunderts schon weisen immer wieder auf die Bedeutung der Balver Höhle hin.

In den letzten hundert Jahren fanden mehrere wissenschaftliche Durchforschungen und Ausgrabungen in der Balver Höhle statt. Die erste erfolgte 1843 mit staatlicher Finanzierung durch das Bergamt Siegen. Weitere Ausgrabungen geschahen 1844 unter Beteiligung des bedeutenden Gelehrten Prof. Nöggerath, der in der Höhle das Vorhandensein verschiedenartiger Schuttschichten feststellte. Eine Anzahl der bei diesen Grabungen gefundenen Fossilien wanderte in das bereits damals bestehende Museum der Stadt Balve. Die Mehrzahl jedoch kam in die wissenschaftlichen Institute nach Münster, Bonn und Berlin. Einzelne Stücke sollen ihren Weg ins Ausland nach Amerika, Frankreich und England gefunden haben. Anfang der 1860er Jahre hat Bergmeister Hundt, Siegen, den vorderen Teil der Höhle untersucht. Er fand eine Anzahl schöner Feuerstein- und Knochengeräte sowie Tongefäßreste mit Holzkohle. 1866 nahm der Gelehrte von der Mark erfolgreiche Grabungen vor. Diesen Grabungen folgten 1869 Untersuchungen der Höhle durch den bekannten Forscher von Drücker, der bei dieser Gelegenheit u. a. drei Skelette jugendlicher Individuen erwähnt. 1870 erfolgten dann die hochbedeutsamen Grabungen durch den berühmten Berliner Anthropologen Rudolph Virchow. 1871 erfuhr die Höhle während einiger Monate eingehende Untersuchungen durch den bekannten Erforscher der Dechenhöhle Bergrat von Dechen. 1872 leitete Prof. von Schaafhausen weitere Grabungen in der Balver Höhle.

 Im Winter 1878/79 unternahm die Stadt Balve Räumungsarbeiten in einem Teil der Höhle.

Die bisher durchgeführten Forschungen förderten in der Hauptsache hochbedeutsame Funde aus der Flora und Fauna der prähistorischen Zeit zu Tage, daneben aber auch hervorragende Zeugnisse ältester menschlicher Kultur.

In den Jahrzehnten nach 1910 unternahm Josef Pütter, Balve, der jetzige Leiter des Balver Heimatmuseums unter Beteiligung einiger interessierter Balver gelegentliche Gerölldurchsuchungen der Höhle und des Höhlenvorplatzes, die insbesondere Hunderte von hervorragenden Stücken bester Steingeräte zu Tage förderten. Hauptsächlich das Bekanntwerden dieser Funde führte zu den großen Grabungen, die dann seitens der Provinz Westfalen in den Jahren von 1925 - 29 durch das Landesmuseum Münster unter Leitung des Prähistorikers Dr. Andree durchgeführt wurden. Das Ergebnis dieser Grabungen ist in einer Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht. Sie förderten eine nach Tausenden zählende Anzahl von zum Teil ganz hervorragenden Steinwerkzeugen aus den Kulturen der Magdalenien und Mousterien zu Tage. Von größter Bedeutung war die Auffindung eines Schiefergerölls mit primitiv eingraviertem Wildpferdkopf aus der Willendorfer Kulturstufe (Aurignacien). Dieser Fund wurde damals von der Wissenschaft als das älteste bekanntgewordene deutsche Kunstwerk bezeichnet.

Die letzten Höhlengrabungen begannen 1934 und dauerten bis zum Ausbruch des Krieges. Sie wurden im Auftrage des Kreises Arnsberg von dem Vorgeschichtler Bernhard Bahnschulte, Neheim, durchgeführt. Das Ergebnis dieser Grabungen war überwältigend. Es wurden über 53000 Stein- und Knochenwerkzeuge zu Tage gefördert, darunter sehr schöne Faustkeile, Handspitzen, Klingen, die den besten diesbezüglichen belgischen und französischen Funden gleichzustellen sind. Der letzte Fund dieser Grabungsperiode bestand in einem riesengroßen Mammutstoßzahn von fast 3,50 m Länge, der das größte jemals irgendwo aufgefundene Exemplar dieser Art darstellt.

Zusammenfassend muß gesagt werden, daß es sich bei der Balver Höhle um ein Objekt von internationaler Bedeutung handelt, da die bisherigen Ergebnisse seiner Durchforschung nicht nur die Durchleuchtung der prähistorischen Zeit der deutschen Heimat, sondern darüber hinaus auch Europas und der gesamten Kulturwelt aufschlußreich sind. Die letzten Grabungen wurden durch den Ausbruch des Krieges abgebrochen. Die Durchforschung der Höhle ist noch nicht völlig abgeschlossen. Es ist mit der Möglichkeit weiterer wichtiger Funde zu rechnen. Eine Sprengung der Höhle würde durch die dadurch ausgelösten Erschütterungen die ursprüngliche, noch jetzt unberührte Lagerung der Bodenschichten stören und damit die Voraussetzungen für eine exakte wissenschaftlich einwandfreie weitere Durchforschung der Höhle unmöglich machen. Damit würde die einschlägige internationale Wissenschaft einen für alle Zeit unersetzlichen Verlust erleiden.

Neben der großen Bedeutung der Balver Höhle für die Wissenschaft kommt ihr Wert für das Volksleben der Heimat in Betracht. Seit mehr als 100 Jahren diente die Balver Höhle den verschiedensten friedlichen Aufgaben. Insbesondere war die Höhle die Stätte, wo das Volksleben in Brauchtum und Sitte bei Fest und Feier Form und Gestalt gewann.

Nach dem ersten Weltkrieg war der Höhlenraum durch Jahre hin der Schauplatz der weithin bekannten Balver Höhlenspiele. Eine bedeutsame Rolle nahm die Balver Höhle ferner für die Entwicklung der gesamten Sauerländischen Heimatbewegung ein. Von hier aus nahm die Reihe der glanzvollen und für die Gestaltung des sauerländischen Volkslebens hochbedeutsamen Sauerländer Heimattage ihren Ausgang. Nicht unerwähnt bleiben darf ferner auch die sagengeschichtliche Bedeutung der Balver Höhle mit ihren bunten seltsamen Gestalten und Geschehnissen, die der riesigen Felsenhalle in der ganzen westfälischen Sagenwelt mit Recht eine Sonderstellung zuweisen. Auf diesem sagengeschichtlichen Hintergrunde spiegeln sich Leben, soziologische Schichtungen und Spannungen der Urbewohner des sauerländischen Berglandes wider. Der Sagenkranz, der sich um die Balver Höhle windet, hat zahlreiche Beziehungen zu den nordischen Ländern, bis hoch hinauf nach Island, wie dies isländische Handschriften, die in Kopenhagen geborgen sind, beweisen. Während des letzten Krieges erlebte die Höhle durch die Vermaurung der gewaltigen Höhlenöffnung und durch die Unterbringung einer Zweigniederlassung der Uerdinger Waggonfabrik, nämlich der Ringfeder GmbH in der Höhle, eine arge Verschandelung. An dieser Entwicklung war die Bevölkerung der Heimat unschuldig. Sie ist um ihre Zustimmung nicht gefragt worden, sondern hat dieselbe aufs tiefste mißbilligt; aber sie stand dieser Entwicklung machtlos gegenüber. Was aber die in der Höhle untergebrachte Industrie betrifft, so war dieselbe keineswegs als eigentliche Kriegsindustrie zu bezeichnen. Es handelte sich vielmehr um die Herstellung von Ringfedern, deren Fabrikation nach dem Kriege in Friedenszeiten ebenso erforderlich ist, als sie es vordem war. Die in der Höhle aufgestellten Maschinen sind bereits längstens restlos wieder abmontiert. Zu bemerken ist noch, daß die Höhle, wie sich erwiesen hat, für die Unterbringung einer Fabrikationsanlage denkbar ungünstig ist und zwar wegen der großen Feuchtigkeit und der Gewässer, die aus den Gesteinsmassen des Tonnengewölbes niederträufeln. Die Balver Höhle sollte nach dem Willen des Volkes sowie der zuständigen Stellen bald wieder ihrer früheren kulturellen Bestimmung zugeführt werden. Es ist völlig abwegig, an eine spätere Verwendung für militärische Zwecke überhaupt zu denken.

Die Sprengung der Höhle würde einen für alle Zeit unersetzlichen Verlust bedeuten. Sie würde von der Wissenschaft wie auch vom heimatlichen Volke einfach nicht verstanden werden. Die Tatsache einer Sprengung, die gegen den ohnmächtigen Willen des Volkes durchgeführt würde, wäre geeignet, in weiten Kreisen Verbitterung hervorzurufen, da ruhiges Volksdenken die Notwendigkeit einer Sprengung der Höhle einfach nicht begreifen kann.

Der Kölner Dom wurde während des Krieges bei Fliegerangriffen als Wahrzeichen abendländischer Kultur absichtlich geschont und wird so nach Heilung der dennoch entstandenen Wunden der Nachwelt erhalten bleiben.

Soll nun ein in anderer Hinsicht ebenso einmaliges und bedeutsames Natur- und Kulturdenkmal wie die Balver Höhle, von der aus sich Fäden spinnen zu den berühmten südfranzösischen, spanischen, belgischen und schweizerischen Höhlen und prähistorischen Fundstätten, jetzt noch, 2 Jahre nach Beendigung des Krieges, blindlings zerstört werden?

Die Weltöffentlichkeit würde es nicht fassen !

© Balve-Online.de 2007 - Alle Rechte vorbehalten.
E-Mail: Wolfram Schmitz