Zur Geschichte der Stadt und des
Amtes Balve

INHALTSVERZEICHNIS

DIE STADT WIRD BEFESTIGT

STREIT MIT NACHBARN

STADTBRÄNDE

DIE TRUCHSESSCHEN WIRREN

HEXENVERFOLGUNGEN

DIE HEILIGEN DREI KÖNIGE IN BALVE

BALVE VERLIERT DEN ANSCHLUSS

EINE NEUE ZEIT BRICHT AN

DIE HÖNNETALBAHN

AUFSÄSSIGKEITEN

UNTER DEM NS-SYSTEM

DIE NEUE STADT BALVE

BALVER STADTJUBILÄEN

DAS STADTJUBILÄUM MIT FESTZUG 1980

AMTS-, STADT- UND KREISWAPPEN

EINWOHNERENTWICKLUNG

VOM AMT BALVE ZUR STADT BALVE

DIE STADT WIRD BEFESTIGT

Seit dem 10. Jh. gehörte Balve zur Grafschaft Arnsberg. Sie lag in ständigem Streit mit den Märkischen Grafen, die von der Burg Altena aus ein Territorium beherrschten, das u.a. die Städte Essen, Dortmund Hamm und Soest umschloss. Die Grenzstädte Menden und Balve waren immer wieder feindlichen Überfällen ausgesetzt. Zur besseren Verteidigung ordnete deshalb Graf Eberhard von Arnsberg 1290 den Bau einer Graben-Wall-Anlage (Ringmauer) an. Er umschloss wahrscheinlich nur wenige Anwesen in Nähe des heutigen Drostenhauses. 1368 fiel die Grafschaft (Scheinverkauf) an das Erzbistum Köln. 1430 verlieh Dietrich von Moers der Ortschaft die Stadtrechte. Bald darauf ließ Kurköln die junge Stadt zu einer Grenzfeste ausbauen. Die bislang in freier Flur (entlang der Hönne und am Rand des Balver Waldes) liegenden Bauernhöfe wurden aufgegeben und innerhalb der Stadtmauer angesiedelt. Bauern wurden zu Stadtbürgern.

Im Schutz der Stadtmauer mit vier Türmen und "zwei starken Holztoren" entwickelte sich der Ort zu einem prosperierenden Gemeinwesen. Die Produkte der Bierbrauer (Balver Lüll), Gerber, Weber und Schmiede wurden landesweit gehandelt. Die Stadt gehörte nunmehr dem Landtag des kurkölnischen Herzogstums Westfalen an, einer ständischen Vertretung der Städte und Freiheiten (Freigerichte). Sie besaß die niedere Gerichtsbarkeit und durfte vier Jahrmärkte von regionaler Bedeutung abhalten.

Grundriß der Stadt Balve im 17. Jahrhundert

Grundriß der Stadt Balve im 17. Jahrhundert
(nach einem Stadtplan aus dem Jahr 1805)

Daten:

1. Wehranlagen Ende 13. Jh. auf Anordnung der Arnsberger Grafen
Stadtrechte 1430 verliehen
Einwohnerzahl 400 bis 500 (geschätzt)
Wehrfähige 100 bis 120
Stadtmauer etwa 400 m lang
Stadtgraben 4 bis 5 m breit
Stadttore Nordtor, Südtor, 2 Pforten in Holzkonstruktion
Brücken 2 Brücken und 4 Stege über Hönne, Bäche oder Mauergraben
Unterhof adliges Gut, Kern des späteren Dorfes
Oberhof adliges Gut, Standort der Altkirchen (12. / 13 . Jh.) und der St.-Blasius-Kirche - Mausoleum des Landdrosten Hennecke Schüngel - Heiligenhaus zu Ehren der hl. Agatha aus Anlass des Stadtbrandes von 1703
St.-Blasius-Kirche 1910 im neugotischen Stil als Rundbau (Oktogonkuppel unter Einbeziehung der Altkirchen (Fresken) errichtet

Als Hansesstadt ("Balve ist eine freie Hansestadt und geht unter Arnsperg") war sie in das westfälische Handels- und Wirtschaftssystem eingebunden. Kaufleute und Fuhrleute transportierten ihre Waren über die holprige "Salzstraße" (strata regia et publica, auch Heeres- oder Völkerstraße genannt), die das Rhein-Maingebiet mit dem Hellweg verband. Davon profitierte das produzierende und handelnde Gewerbe der Stadt, aber auch die Landwirtschaft. Etwa zwei Dutzend Gasthäuser und Wirtschaften boten Durchreisenden Herberge und trinkfrohe Unterbrechung. Balves Bürger allerdings waren einer strengeren Ordnung unterworfen. Nach kurkölnischen Gepflogenheiten mussten sie einen Eid auf die Landesverfassung ablegen:

" Wir ..... geloben und schwören zu Gott und seinen lieben Heiligen, dass wir gottesfürchtig und anhänglich der katholischen Religion leben und sterben, unserem guten Kurfürsten und Herrn ...... gehorsam sein wollen, die Gesetze, Befehle, Gebote, Verbote, auch Ordnung dieser Stadt stets und fest halten".

STREIT MIT NACHBARN

Grenzstreitigkeiten zwischen Arnsberg, Altena und Köln, nach 1368 zwischen dem Kölner Erzbistum und der Grafschaft Mark waren bis zur Französischen Revolution gang und gäbe. Territoriale und dynastische Interessen, weltliche und geistliche Macht prallten aufeinander. Märker befestigten Neuenrade, zerstörten die Burg Gevern, brandschatzten viermal die Stadt Menden (1250 bis 1344) und errichteten die Burg Klusenstein (1353), die das Hönnetal beherrschte. Im Gegenzug ließ Arnsberg das Dorf Balve durch eine Wall-Graben-Anlage schützen, Kurköln die junge Stadt nach 1430 befestigen. Der Grenzsicherung hatte bislang ein "festes Haus" in Binolen oberhalb der Reckenhöhle gedient. Mit dem Verkauf" der Grafschaft Arnsberg an Kurköln (1368) reduzierten sich die militanten Auseinandersetzungen zunächst auf Rangeleien um Marken und Markgerechtigkeiten, in die vor allem Grenzortschaften verwickelt waren. Raub- und Kriegszüge, Plünderungen und Brandschatzungen gehörten bald wieder zur Tagesordnung. Reformation und Gegenreformation prägte die Gegnerschaft zwischen den protestantischen Märkern und den kurkölnischen Arnsbergern. Der Dreißigjährige Krieg brachte den Menschen im Hönnetal unsägliches Leid.

Immer wieder suchten sie sich zu wehren. Aus altsächsischen nachbarschaftlichen Wehrverbänden entstanden Schutzgemeinschaften, später Bürgerwehren Wenn z.B. bewaffnete Märker Holz oder Vieh stehlen wollten, ließ der Amtsdroste den "Glockenschlag" der Kirche auslösen. Die Männer eilten zu den Waffen, um räuberische Eindringlinge aus Fluren oder Wäldern zu vertreiben. Beim Nahen einer bewaffneten feindlichen Macht wurden die Stadttore geschlossen, Mauern und Türme mit wehrfähigen Bürgern besetzt. Stärke, Bewaffnung und Verteidigungsstrategie der Selbstschutzorganisationen der Stadt bzw. des Amtes passten sich natürlich den technischen Möglichkeiten der Zeit an.

Mit dem Nachlassen territorialer und religiöser Streitigkeiten ersetzten symbolische Handlungen bislang übliche Wehrübungen. Schützenfeste und Vogelschießen sind seit 1663 belegt. Die Bügerwehr nahm bald den Status einer kirchlichen Bruderschaft an.

Sie ist unmittelbarer Vorläufer der heutigen Schützenbruderschaften in den Ortsteilen. Nach längerer Unterbrechung lebte 1801 das festliche Vogelschießens wieder auf. Seit rd. 150 Jahren feiert die Balver Bruderschaft ihre Schützenfeste in der Balver Höhle. Uniformen, Fahnen und Rangabzeichen der Schützenbrüder dienen der Traditonspflege. Sie erinnern an frühere Wehrstrukturen.

STADTBRÄNDE

Noch zu Beginn des 18. Jh. gab es in Balve wenige steinerne Gebäude. Bauern, Handwerker, Händler, Gastwirte bewohnten strohgedeckte Fachwerkhäuser ohne Schornstein - i.d.R. unter einem Dach mit Groß- und Kleinvieh. Sie standen dicht beieinander, ihre Misten und Scheunen engten die schmalen Seitengassen weiter ein. Fuhrwerke (oder Feuerspritzen) hatten Not, das verwinkelte Nest zu durchfahren. Ein unkontrolliertes Feuer konnte in wenigen Minuten einen Flächenbrand auslösen. Art und Enge der Wohnbebauung führte so zu vielen Stadtbränden:

1584 Viele Gebäude der Stadt brennen lichterloh.
1599 Fast die ganze Stadt brennt ab.
1607 Ein Teil der Stadt wird brennt nieder.
1623 9 Häuser werden ein Opfer der Flammen.
1692 Ein größerer Brand sucht die Stadt heim.
1707 Ein Großteil wird in Schutt und Asche gelegt.
1789 Nur einzelne Gebäude überstehen einen Großbrand.

Wieder einmal ist die Bürgerschaft bettelarm geworden und auf fremde Hilfe angewiesen. Der Landesherr greift ein. Nach seinen Plänen und unter "strenger kurkölnischer Aufsicht" wird der Wiederaufbau eingeleitet. Die Sünder der Vergangenheit sollen vermieden werden:

  • Die bereits verfallenen mittelalterlichen Festungsmauern werden abgetragen.
  • Größere Parzellen sollen die Baudichte auflockern
  • Deshalb wird die Siedlungsfläche vor allem nach Westen erheblich ausgeweitet.
  • Miststätten am Haus werden verboten, Scheunen in freie Fluren verlegt.
  • Fluchtlinien sorgen für breitere Straßen und Gassen.

Diese Maßnahmen ermöglichten die Errichtung stattlicher Bürgerhäuser, aber auch Häuser mit "Mietwohnungen" für jene Mitbürger, die kein Eigentum besaßen und ihren Unterhalt als Lohnarbeiter verdienen mussten. Das Grundverständnis der Pohlbürger blieb weiterhin ackerbürgerlich geprägt. Jeder besaß ein wenig Vieh und Weide, ein Stück Acker oder Wald, einen Garten, eine Obstwiese.

DIE TRUCHSESSCHEN WIRREN

1577 wird Gebhard Truchseß von Waldburg zum Kölner Erzbischof gewählt. Er genoss das Leben und wandte sich weltlichen Freuden zu. Sein Verhältnis zur Gräfin von Mansfeld, einer Protestantin, führte zu ständischen und kirchlichen Komplikationen. Gebhard bekannte sich 1582 zum Protestantismus, erließ einen Monat später als Landesherr ein Edikt, das Glaubensfreiheit anordnete, und ehelichte Agnes von Mansfeld. Truchseß bereiste sein westfälisches Herzogtum, verkündete allerorten die Freiheit des Glaubens und ersetzte katholische Priester durch protestantische Prediger.

Bislang hatte die Reformation die Menschen im Amt Balve unberührt gelassen. Doch die unmittelbare Aufforderung Truchseß' zum Glaubenswechsel stieß auf heftigen Widerstand. Balve gehörte zu den 17 Städten der westfälischen Landstände, die "bei der katholischen Religion ausharren" wollten. Der Balver Amtsdroste Hermann von Hatzfeld auf Wocklum wurde militanter Widersacher des Erzbischofs. Truchseß' Zorn richtete sich besonders gegen das widerspenstige Balve. Seine Truppen wüteten und marodierten in Oelinghausen und Affeln. 1583 marschierte Truchseß selbst mit einer Streitmacht nach Wocklum. Um seinem Willen Nachdruck zu verleihen, ließ er die Wasserburg plündern. Von Hatzfeld floh nach Münster. Truchseß verlor bald danach Amt und Würde und musste seine gewalttätigen Ambitionen aufgeben.

Der neu gewählte Erzbischof Ernst von Bayern eroberte nun mit bayrischen, kurkölnischen und spanischen Truppen die Städte des Herzogtums Westfalen zurück. Selbst der lutherische Prädikant Ulrich Meller kritisierte das Vorgehen des eigenmächtigen Reformers: "Wie Truchseß .. haust ......, müssen sich alle Evangelischen darob schämen".

Allerdings gingen erzbischöfliche Truppen (später holländische Freischärler) mit Bürgern und Bauer auch nicht zimperlich um, so dass der westfälische Landdroste gezwungen war, eigene Schutztruppen (300 Reiter, 900 Soldaten) aufzustellen. Zur ihrer Finanzierung konnte Balve allerdings nichts beitragen. Ein Brand hatte einen Großteil der Stadt vernichtet, Balve war "bettelarm" geworden.

"Säu faste ärre Balve" - so fest wie Balve

ist ein geflügeltes Wort, das die Standfestigkeit der Balver Bürger während der Truchseßschen Bekehrungsversuche widerspiegelt:

HEXENVERFOLGUNGEN

Ein unrühmliches Kapitel der Balver Geschichte sind die Inquisitionsverfahren und Hexenverfolgungen, die im Amt anhängig waren, das damals bis Holzen-Herdringen und Allendorf / Hagen reichte. Zauberei galt seit altersher auch in sächsischen Landen als ein zu sühnendes Verbrechen. Im Volk lebte aber auch eine alttestamentarische Vorstellung: Menschen laden ihre Sünden einem Schafsbock auf und jagen ihn in die Wüste (Sündenbock). Besonders in Notzeiten (Pest, Krieg, Hunger) suchten Menschen Erklärungen und Schuldige für schicksalhafte Bedrängnisse - ein Nährboden für mystisch-mythische Heilslösungen. Die Kunde, dass in deutschen Landschaften Hexen ihr Unwesen trieben, beflügelte Papst Innozenz VII., zwei Dominikaner zu beauftragen, Mittel gegen Teufelsbünde" zu finden. Ihre Schrift "Der Hexenhammer" (1486) sowie die "Peinliche Halsgerichtsordnung" Kaiser Karls V. schufen die moralische und rechtliche Grundlage für die Verfolgung von Zauberei und Teufelswerk.

In Westfalen beginnt die Inquisition 1584, acht Jahre später im Amt Balve. Die von Kurköln eingesetzten Kommissare der "Inquisition Magicae" übten ihr blutiges, menschenverachtendes Handwerk im Balver Raum von 1628 bis 1636 besonders rücksichtslos aus. 1628 werden z. B. alle Eingesessenen des Amtes zur Denunziation verpflichtet. "Türme, Schlösser und Löcher" mussten als Gefängnisse hergerichtet werden. Weit über 300 Frauen und Männer wurden von ängstlichen, böswillligen, neidischen oder glaubenseifernden Nachbarn oder Familienangehörigen der Zauberei und Teufelsbulerei beschuldigt, von der Inquisition angeklagt, gepeinigt, zu Geständnissen gezwungen und verurteilt. Gehilfen der Kommissare folterten die Beschuldigten in einem Kellerraum an der Bogenstraße. Unter Glockengeläut führte eine Prozession die Verurteilten durch das "Armsündergäßchen" zum Galgenberg, wo sie der Tod erwartete. Selbst Pfarrer gerieten in Verdacht, mit dem Teufel im Bunde zu stehen.

DIE HEILIGEN DREI KÖNIGE IN BALVE

Die Französische Revolution veränderte Europa nicht nur geistig, politisch und territorial; sie schenkte Balve auch eine wundersame Geschichte. Nach der erfolglosen Kanonade von Valmy (1794) trat die preußische Armee eilig den Rückzug an. Französische Truppen folgten auf dem Fuße. Einige Tage vor ihrem Einmarsch in Köln beschloss das Domkapitel, die Schätze des Domes in Sicherheit zu bringen. Vor allem sollten die Reliquien der hl. drei Könige, von Kaiser Barbarossa (1152-92) aus Mailand entführt, vor Raub geschützt werden. Die Domherren beauftragten den Allendorfer Fuhrherrn Simon, mit zwei Wagen und Knechten an der Kölner Schiffsbrücke zu erscheinen. Um 2 Uhr beluden einige Leute unter Aufsicht eines Domherrn die Wagen eilfertig mit Schätzen und Reliquien.. Die Fuhrleute wurden über Zweck und Ziel des Unternehmens eingeweiht, zu strengstem Stillschweigen verpflichtet und nach Erreichen des geheimen Ortes großzügig entlohnt. Die Gefahr eines Raubes war erst gebannt, nachdem die französischen Revolutionstruppen das Rheinland geräumt hatten. Das Domkapitel übertrug Simon nun den Rücktransport der Reliquien unter strengster Geheimhaltung.

Der winterliche Transport der Domschätze am 11. Dezember 1803 über die Höhenwege von Wedinghausen nach Balve war beschwerlich: Ermüdet kehrten am 11. Dezember 1803 Fuhrmänner und "schwarze" Begleitung im Gasthaus Glasmacher ein, damals eine angesehenen Übernachtungsstätte für Durchreisende. Geheimnisvoll schweigend trugen Knechte das kostbare Gut in den Hauptsaal des Hauses. Glasmacher, agiler Bürgermeister der Stadt, beobachtete das seltsame Treiben seiner Gäste und wurde neugierig. Schließlich gelang ihm, das Geheimnis zu lüften. Der bibelfeste Gastwirt soll daraufhin ausgerufen haben: "Heute ist meinem Hause Heil widerfahren!", als auch schon die Kirchenglocken "von selbst anfingen zu läuten" und viele Balver Bürger in die Gaststätte eilten, um den Reliquien gebührende Verehrung zukommen zu lassen. Das Erzbistum zeigte sich erkenntlich und sandte als Dank ein "sinngebendes" Bild mit vielen Segenssprüchen. Man munkelte jedoch, Glasmacher habe die Vorgänge geschickt in Szene gesetzt, ein Bote habe Küster und Bürgern das Ereignis zugetragen. Wenn es so war, hat der Gastwirt vor fast 200 Jahren PR-Methoden praktiziert, die heute allgemein üblich sind. Sein Haus war nun weithin in aller Munde. Die Gaststätte Hl.-Drei-Könige und die Drei-Königsgasse erinnern noch heute an die damaligen Ereignisse.

BALVE VERLIERT DEN ANSCHLUSS

Die geologischen Gegebenheiten des märkischen und Arnsberger Raumes stimmen weitgehend überein (Oberflächengestalt, Bodenqualität und -nutzung, Bodenschätzen, Wasserreichtum). Trotzdem entwickelte sich die Wirtschaft beider Territorien seit dem 17. Jh. sehr unterschiedlich. Ursache sind getrennte sozial- und gesellschaftspolitische Wege und Entwicklungen.

Nach dem Niedergang der Hanse konnte Balve seine Bedeutung als wirtschaftliches Zentrum des damaligen "Grossamtes" zunächst behaupten. Die Waren der Gerber, Färber, Sattler, Schuster aus Fellen heimischer Rinder, Schafe und Ziegen wurden weithin gehandelt. Etwa ein Dutzend Bierbrauer und "Schnaps"-Brenner versorgten Land und Leute mit ihren Produkten. (Balver Lüll beflügelte auch erzbischöfliche Würdenträger.) Bau- und Eisenhandwerker (2o) deckten die Ansprüche der Stadt- und Dorfbewohner. Ellenwarenhändler und Spezereigeschäfte boten u.a. Wollwaren, Tuche, Laken und "Modisches". Durchreisenden und Einheimischen offerierten etwa zwei Dutzend Gasthäuser und Schenken ihre Dienste. Vier Jahrmärkte unterbrachen das Arbeitsjahr, sorgten für Handel und Wandel, Jubel und Trubel:

  • der Ferkel- und Kramermarkt zu Osterzeit
  • die Mittsommerkirmes - ein vergnüglicher Jahrmarkt
  • der Rinder- und Pferdemarkt zu Michaelis
  • der Schweinemarkt im November

Reformation und Dreißigjähriger Krieg leiteten eine Wende ein. Zwar erholten sich Amt und Stadt Balve in relativ kurzer Zeit von den Wunden des Krieges, verloren aber den Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung anderer deutscher Lande. Die Gründe, die zur Stagnation führten, sind vielschichtig:

  • Die Märker waren protestantisch (lutherisch oder reformiert) geworden. Die Prädestinationslehre Calvins, nach der gottgefällig ist, wer fromm ist und im Leben Erfolg hat, beeinflusste auch den lutherischen Protestantismus. Das Arbeitsethos protestantischer Bürger zielte auf die Nutzung von Innovationen als Mittel zum Gelderwerb.

    Die Gegenreformation wollte eine innere Erneuerung der Kirche und beanspruchte einen strengen Vollzug der Sakramente und Riten. Allein dieser Weg führe zu Gott. Damit wurde der gläubige Balver Katholik weltlichen Tagesfragen entzogen und an tradierende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen gebunden.
  • In der Grafschaft Mark wurde Erz verhüttet und Roheisen zu hochwertigen Gütern verarbeitet. Dieser Verbund ermöglichte, Produkte weithin preiswert und gewinnbringend zu vermarkten. Der erworbene Wohlstand (Kapitalakkumlation) ermöglichte, wirtschaftliche Krisenzeiten (Strukturwandel) besser abfedern zu können. Als z. B. die Erzvorkommen im 17. Jh. ausgebeutet waren, musste Roheisen eingeführt werden. Die damit verbundene Verteuerung schmälerte jedoch nicht die Gewinnmargen. Die eisenverarbeitende Industrie hatte ihre Produktionswege rationalisiert. Zum Wohlstand der Unternehmer trug auch das sich ausbreitende Verlegersystem bei (Heimarbeit gegen Stücklohn).

    Die Erzlager im Balver Raum waren noch nicht erschöpft. Noch um 1850 waren hier 100 Bergleute tätig. Bergbau, Hütten und Hammerwerke (Grundstoffindustrie) waren bis zur Hochindustrialisierung des Ruhrgebietes als Zulieferer zufriedenstellend ausgelastet. Balve jedoch fehlte das verarbeitende Gewerbe, das in bergisch-märkischen Städten blühte.
  • Träger des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts der östlichen Nachbarn waren bürgerliche Unternehmer, die ihre Betriebe nach kapitalistischen Grundsätzen führten, also die Maximierung von Produktion und Gewinn anstrebten. Seit 1614 mit dem Herzogtum Preußen vereinigt, kam ihnen der von absolutistischen Herrschern, auch Preußen, gepflegte Merkantilismus zugute.

    Die Balver Eisenindustrie lag dagegen in adligen Händen (von Landsberg, von Wrede, von Dücker), deren Interessen vielseitiger waren. Großgrundbesitz, adlige Rechte und Reputatiospflichten (Standesvertretung, Verwaltungsaufgaben, Rechtsprechung) beeinflussten ihr Betätigungsfeld als gewerbliche Unternehmer, schränkten ihre innovativen Möglichkeiten ein, zumal sie ihre Unternehmen von Pächtern oder Angestellten leiten ließen. Nach dem Bau der Ruhr-Sieg-Eisenbahn musste die Wocklumer (Luisen-) Hütte 1864 ihren Betrieb einstellen. Sie wurde Opfer konkurrierender märkischer Betriebe und moderner Hochöfen des Ruhrgebiets (Kohle - Koks statt Holzkohle). Nur die chemische Fabrik Wocklum überlebte den Strukturwandel. Die Balver Ackerbürgerschaft (Gewerbetreibende mit kleinbäuerlichem Grundbesitz) beschränkte sich weiterhin auf die Pflege traditioneller Erwerbsquellen. Bürgerliche Versuche, die Zeichen der Zeit zu nutzen, scheiterten nach wenigen Jahren (Glashütte - um1960).

EINE NEUE ZEIT BRICHT AN

Im Zuge der Mediatisierungstendenzen zur napoleonischen Zeit wurde Balve 1802 Territorium des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, einem Günstling des französischen Kaisers (Reichsdeputations-Hauptschluss). Nach Napoleons Abtritt von der Weltbühne fiel das kurkölnische Herzogtum Westfalen 1815 an Preußen (Wiener Kongress). Die Balver, an kurkölnische Großzügigkeit in Selbstverwaltungsfragen gewöhnt, mussten sich auf eine härtere Gangart einstellen. Die hessischen Rekrutierungsmethoden und Kontributionen für durchziehende Truppen wurden nur unwillig hingenommen. Das zentralistisch geführte Hessenland erfreute sich keiner besonderen Beliebtheit. Allerdings brachte Hessen der Stadt auch Fortschritte. 1805 öffnete eine Apotheke ihre Pforten. Hessische Behörden förderten das heimische Brau- und Gerbereigewerbe und sorgten für die Ausbildung von Hebammen.

Weitreichendere Veränderungen hatte die Reform des Verwaltungswesens zur Folge:

  • Die landständige Verfassung wurde aufgehoben, ebenso die Steuerfreiheit für Adel und Kirche, die Verwaltung zentralisiert (Aufhebung der Stadtrechte).
  • Adlige Güter konnten geteilt werden; abhängigen Bauern (Hintersassen) war nun möglich, ihre vom Grundherrn "gepachteten" Höfe gegen Entschädigung in Eigentum zu übernehmen.
  • Ein neues Steuersystem verteilte die allgemeinen Lasten, aber auch anfallende Kriegskosten gerechter als bisher.
  • Kirchlicher Landbesitz wurde verstaatlicht bzw. privatisiert (Säkularisierung). Die Einnahmen aus Verkauf, Verpachtung oder Ertrag kam dem Fiskus zugute.
  • Das neue Amt Balve (Eckpunkte: Stockum- Langscheid -Holzen- Asbeck - Leveringhausen- Küntrop - Affeln - Hagen) wurde juristische und Verwaltungs-Einheit (Justizamtsbezirks), der ein Amtmann auch als Richter und Polizeichef vorstand.

 

1815 wurde Westfalen preußische Provinz. Von Vincke, erster Oberpräsident der Provinz, beklagte die hessischen Schlampereien und forderte preußische Gründlichkeit ein. Die Neugliederung Westfalens in Regierungsbezirke und Kreise ordnete das Amt Balve dem Landkreis Iserlohn zu (1817). Amtssitz des Landrat wurde das Drostenhaus in Balve. Landrat Baron von Wrede zu Melschede benötigte einen einstündigen Ritt, um seinen Obliegenheiten in der "Balver Schreibstube" nachkommen zu können. Andere Maßnahmen prägten das wirtschaftliche und gesellschaftliche Gefüge Balves entscheidend:

  • Die Kreisvertretungen (Kreisstände) setzten sich wieder ständig zusammen. (1. Stand: Fürsten, 2. Stand: Rittergutsbesitzern, 3. Stand: Vertreter der Städte)
  • Das Amt Balve verlor einige Randgemeinden und wurde dem Kreis Arnsberg zugeordnet.
  • Die Einführung des Drei-Klassen-Wahlrechts führte zur politischen Ausgrenzung aller Mitbürger, die keine oder nur geringe Steuern zahlen konnten (wollten).
  • Die gemeindliche Selbstverwaltung wurde gestärkt, d. h. zu eigenverantwortlichem Handeln veranlasst.

Die preußische Herrschaft war direkt, streng, aber gerecht. Daß sich der kurkölnisch geprägte Katholizismus mit dem protestantisch orientierten Preußentum schließlich abfand, ist letztlich auf bedeutende wirtschaftliche und sozialen Fortschritte zurückzuführen:

  • 1841 / 42 werden die Provinzialstraße nach Hachen/Arnsberg und die "Handelsstraße" Sanssouci - Menden - bislang schmale, holprige (Feld-)Wege - ausgebaut.
  • Das Wegenetz des Amtes wird saniert, der Feuerschutz modernisiert, die soziale Versorgung verbessert, die öffentliche Sicherheit gefördert.
  • Noch vor der Jahrhundertwende erhält Balve ein Elektrizitätswerk (Gransauer Mühle) und ein Wasserwerk (erste Wasserleitungen).
  • 1871 erhält Balve ein "Kaiserliches Postamt".
  • 1884 richtet die Ortskrankenkasse in Balve eine Nebenstelle ein (Bismarcks Sozialgesetzgebung).
  • Sparkasse bzw. Darlehenskasse mit Nebenstellen in den Dörfern beleben Geldumlauf und Wirtschaft (1881 bzw. 1898).
  • 1890 öffnet das Krankenhaus seine Pforten.
  • 1902 gründen Balver eine Molkereigenossenschaft.
  • 1912 wird die Hönnetalbahn1912 feierlich eröffnet.
  • Produktion, Handel und Wandel prosperieren (Kalk-, Hütten-, Walzwerke, Gießereien, Chemie).

DIE HÖNNETALBAHN

Der Bau der Ruhr-Siegstrecke förderte die Entwicklung der Märkischen Industrie und benachteiligte die Gewerbe im Hönnetal. So ist nicht verwunderlich, dass ein Ausgleich gefordert wurde. Der königlichen Eisenbahnkommission Wuppertal oblag die Planung der Strecke Neuenrade - Balve - Menden. Überlegungen, Iserlohn anzubinden, die Bahn in Richtung Attendorn - Finnentrop weiterzuführen und in Sanssouci einen Zentralbahnhof einzurichten, wurden nach Protesten der Stadt Balve, aber auch aus technischen und finanziellen Gründen schließlich fallen gelassen. Balve erhielt seinen eigenen Bahnhof.

Bahnhof Sanssouci um 1915

1912 wurde die Hönnetalbahn feierlich eingeweiht. Sie beendete verkehrliche Abgeschiedenheit und bedeutete den Anschluss an die "große weite Welt". Sie erleichterte vor allen Dingen den Transport von Massengütern der zahlreichen Kalksteinbrüche und Kalköfen im Balver Raum. Mit der rasanten Ausweitung des Pkw- und Lkw-Verkehrs seit den 60er Jahren ist ihre Rentabilität immer wieder in Frage gestellt worden. Bürger, Stadtvertretungen und Organisationen kämpften bis heute erfolgreich um den Erhalt der Bahnstrecke.

AUFSÄSSIGKEITEN

Störungen brachten lediglich die Revolutionsjahre um 1848. Auslöser in Balve waren im Gegensatz benachbarten Städten nicht existentielle soziale Spannungen (Technisierung handwerklicher Berufe), sondern Veränderungen des politischen Bewusstseins. Selbst Bauern, unter mehrjährigen Missernten leidend, zeigten offen ihre Unzufriedenheit. Radikale demokratische oder liberale Gesinnungen, wie sie u.a. in der Paulskiche vertreten wurden, fanden jedoch unter Balver "Ackerbürgern" wenig Resonanz. Allerdings versammelten sich im Haus Nöcker einige Mitbürger, um demokratische Zeitungen zu lesen und zu diskutieren. Die bürgerliche Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Glasmacher und Camminady mobilisierten aus Furcht vor revolutionären Entwicklungen die "Bürgerwehr". Trotzdem zogen am 1. April 1949 Demokraten zum Schloss Melschede, um am Wohnsitz des Landrats alte Rechte einzufordern. Wenige Tage später besetzten preußische Truppen das Amt.

Der Sturm radikaler Demokraten auf das Iserlohner Zeughaus löste zeittypische Ereignisse aus: Die Balver Bürgerwehr, von Iserlohn zu Hilfe gerufen, rückte aus, zog bis Brockhausen, kehrte aber in "Ermangelung von Einsatzbefehlen" wieder um. Die Männer erlebten, wie Bauern aus Brockhausen und Klusenstein Iserlohner Aufständische mit Karrenladungen "voll Brotwaren" versorgten. Die Gesinnung der königstreuen Konservativen war offenbar nicht so standfest, wie ihr militantes Auftreten vorgab. Nach 1850 kehrte in Balve Ruhe ein. Reaktion und Obrigkeitsstaat hatten auf der ganzen Linie gesiegt.

Die Reformen zur hessischen und preußischen Zeit bewirkten bleibende Veränderungen. Sie modernisierten die Wirtschaftsstruktur, modifizierten das Gesellschaftsgefüge und verdrängten Reste postfeudaler Ordnungen.

UNTER DEM NS-SYSTEM

Eine profunde Darstellung der Balver der Wirkungen und Auswirkungen der NS-Zeit ist aus "Pietätsgründen" bisher nicht geschrieben worden, obwohl Alteingesessene im Familien- oder Freundeskreis manches personenbezogene Ereignis zu erzählen wussten. Ehemalige Nazis, vor allem ihre Familien, sollten geschont werden. So wurde u.a. die Veröffentlichung eines Berichts über Grausamkeiten im "Gefangenenlager" Sansoussi hintertrieben. Immerhin gibt H. Polenz im Heimatbuch 1980 informative Hinweise.

Erst nach der Machtergreifung konnten NSDAP und ihre Gliederungen in Balve festeren Fuß fassen, wie die Wahlergebnisse vor und nach 1933 zeigen. Die Reichstagswahl am 31.11.1932 brachte der NSDAP nur 15,6 %, dem Zentrum satte 68,2 % der Stimmen. Den Rest teilten sich SPD (6,4), KPD (6,4), DNVP (2,5) und Landvolk (0,9). Zur Reichstagswahl und zum Volksentscheid 1933 war die Stimmung umgeschlagen. Die Ergebnisse lagen "unverständlicherweise" im Amt ein wenig unter dem Reichsdurchschnitt.

Es gab stramme, moderate und mitlaufende NS-Funktionäre. Die strammen versuchten bis zum Kriegsende dem Bürger das neue System mit deutscher Gründlichkeit nahe zu bringen und zu praktizieren. Das war nicht leicht. Man dachte immer noch ländlich-konservativ, pflegte preußische Rechtsordnungen und "Sauerländer Eigenwilligkeiten". Diese Mentalitäten waren trotz "Anerkennung bedeutender nationaler und wirtschaftlicher NS-Erfolge" nicht geeignet, allen heimischen Ackerbürgern und Bauern NS-Ideologien und -Normen widerspruchslos einzuimpfen. So stießen NS-Funktionäre nicht selten auf trotzige Widerworte. Eine Mutter mit 8 Kindern z. B. lehnte das Deutsche Mutterkreuz mit der Begründung ab, ihre Kinder seien ein Geschenk Gottes und nicht das des Führers. Innerer Widerstand erschöpfte sich zwar im kleinen, war aber nicht zu übersehen. Der Versuch der NPD, in den 70er Jahren auch in Balve eine breitere Anhängerschaft zu mobilisieren, scheiterte kläglich am Grundverständnis der Bürgerschaft.

DIE NEUE STADT BALVE

Die kommunale Neugliederung 1974/75 brachte auch in Balve manche Gemüter in heftige Wallungen. Das Amt sollte vier Dörfer verlieren, der Rest in einer neuen Stadt aufgehen. Damit verloren die sieben Restgemeinden ihre "Selbständigkeit". Natürlich wollten die "Dörfler" den Verlust von Selbstverwaltungsrechten nicht hinnehmen, zumal sie befürchteten, künftig als Ortsteile materielle und ideelle Nachteile hinnehmen zu müssen. So kamen einige Gemeindevertretungen auf den Gedanken, sich noch rechtzeitig vor Toresschluss kräftig zu Lasten der künftigen Großgemeinde zu verschulden. Den stärksten Widerstand gegen das Neuordnungskonzept der Landesregierung erfuhr die Absicht, Balve aus dem Kreis Arnsberg zu lösen und dem Kreis Lüdenscheid (später Märkischer Kreis) zuzuschlagen.

Die Heimwacht unter Theodor Pröpper zog mit dem Hinweis auf uralte Bindungen zur Grafschaft Arnsberg und zu Kurköln alle Register, die Neugliederungspläne des Landes zu verhindern. Ungeachtet dieser Proteste wurde Mai 1975 die kommunale Neugliederung vollzogen. 25 Jahre später sind die Vorbehalte verstummt. Die Stadt profitierte von der Nähe märkischer Industriestädte, aber auch viele Jahre von der Finanzkraft des Märkischen Kreises. Dem Bürger ist aber auch bewusst geworden, dass gemeindliche Großprojekte (Wasserversorgung, Straßen- / Kanalbau usf.) nur noch von größeren kommunalen Einheiten geplant und finanziert werden können.

Eine Historie der Personen und Parteien von 50 Jahren Kommunalpolitik in Balve - zusammengestellt von Theodor Schmitz - findet sich im Jubiläumsheft "35 Jahre SPD Balve 1946 - 1981".

BALVER STADTJUBILÄEN

Am 22. Oktober 1430 hatte Erzbischof Dietrich II. Graf von Moers dem Dorf Balve das Stadt- und Mauerrecht sowie die niedere Gerichtsbarkeit verliehen. Balve war nun Teil der kurkölnischen "Festungskette" von Menden über Allendorf bis Attendorn, die das Hinterland gegen die Grafen von der Mark zu schützen hatte. Dieses für die politische und wirtschaftliche Existenz bedeutende Ereignis wollte die Stadt 5oo Jahr später gebührend begehen. So feierte sie vom 2. bis 4. August 1930 die "Balver Jahrtausendfeier verbunden mit dem 8. Sauerländer Heimattag". Mehr als ein Jahr lang hatte sich die ganze Bürgerschaft des kleinen Städtchens auf das Fest vorbereitet. Der Abdruck aus dem Festprogramm 1930 bietet ein Bild von den umfangreichen Festivitäten. Bedeutsam ist, das im Jubiläumsjahr 1930 unter dem Titel

Balve - Buch vom Werden und Sein der Stadt

die erste zusammenhänge Darstellung der Erd-, Menschheits- und Territorialgeschichte des heimischen Raumes erarbeitet wurde. Den Redakteuren Dr. H. Menne, Th. Pröpper und J. Pütter standen 32 Experten zur Seite. Ihre Arbeiten von den Devonzeit bis zum 20. Jahrhundert sind wissenschaftlich fundiert - eine Fundgrube für alle, die an paläontologischen, dynastischen, prähistorischen oder kirchengeschichtlichen Fragen interessiert sind. Daß (mit Ausnahme der Hexenverfolgungen) sozial- und gesellschaftspolitische Aspekte fehlen, ist dem Zeitgeist., aber auch der traditonsgebundenen Bewusstseinslage mancher Verfasser heimatkundlicher Literatur zuzuschreiben.
Erst 35 Jahre später, 1965, erscheint ein neues Buch über Balve "Sauerländisches Grenzland im Wandel der Zeit". Hervorragend recherchiert und wissenschaftlich abgesichert stellt der Autor Josef Pütter geb. 13.6.1890, gest. 31.8.1982 die Stadt und das Balver Land von den Anfängen der menschlichen Besiedelung bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts dar. Für seine jahrzehntelangen historischen Arbeiten wurde ihm am 13.4.64 vom Rat der Stadt der Ehrenbürgerbrief verliehen. Auch eine Straße in der Stadt trägt seinen Namen.

DAS STADTJUBILÄUM MIT FESTZUG 1980

Siegel550 Jahre waren seit der Verleihung der Stadtrechte vergangen. Dieses Datum wollte die neue Stadt  gebührend feiern. Sie beauftragte Harald Polenz, die Historie der Stadt aufzuarbeiten, vor allem neue Quellen zu erschließen. Seine Arbeit (440 Seiten) erschien zum Jubiläumsjahr unter dem Titel

"Zur Geschichte des ehem. Amtes und der Stadt Balve"

Die Vorbereitungen der mit der Durchführung des Festes beauftragten Arbeitgemeinschaft aus Balver Vereinen, an der sich alle Ortsteile rege beteiligten, nahm Monate in Anspruch.

Zigtausende Besucher säumten am Festtag die Straßen der Innenstadt. Klatschen und Zurufe kommentierten die historischen Fußgruppen, Schauwagen und Kapellen des kilometerlangen Festzugs, der die Innenstadt füllte.

Eine historische Gruppe - von bekannten Balver Frauen und Männern dargestellt - fand besondere Aufmerksamkeit, wenn der "Amtsdroste Hermann von Hatzfeld" seinen Degen zog und "Gebhard Truchseß von Waldburg" unter dem Gezetere der nahen Hexenschar zu einem Zweikampf herausforderte.

Die Fechtkünste der beiden Herren ließen zwar zu wünschen übrig. Das Klirren ihrer Säbel beim harten Schlagaustausch war jedoch weithin zu hören..

AMTS-, STADT- UND KREISWAPPEN

Erst 1957 erhielt das damalige Amt Balve, zu dem noch die Gemeinden Asbeck, Blintrop, Affeln und Altenaffeln gehörten, ein Wappenschild. Grundlage waren u.a. das der Stadt 1911 verliehene Wappen und ein Siegel aus dem Jahre 1462.

Das Amtswappen spiegelt sowohl Stadtgeschichte als auch landsmannschaftliche Bindungen wider. Der Hl. Petrus mit Schlüssel und Buch im oberen Teil des Schildes symbolisiert das christliches Selbstverständnis der Bürgerschaft, das halbe schwarze Kreuz im

gespaltenen unteren Feld bezeugt kurkölnische Traditionen, der halbe silberne Adler auf blauem Grund erinnert an die Zugehörigkeit zur Grafschaft Arnsberg (Übernahme der Arnsberger Stadtverfassung).

Amtswappen

 

Kreiswappen

 

Amtswappen
bis 1975
Stadtwappen Kreiswappen
ab 1975

Die gemeindliche Neuordnung 1975 führte zur Auflösung der Amtsverfassung und ihrer Einzelgemeinden. Die neue Stadt Balve übernahm die historisch relevanten Teile des bisherigen Amtswappens. Die Reduzierung auf zeitnahe heraldische Symbole führte zu einem Wappenschild, das geschichtliche Aussagen und modernes Design miteinander verbindet.

Das Wappen des Märkischen Kreises übernahm das kurkölnische Kreuz mit Kreistagsbeschluss vom 4. März 1976 in Gänze. Es repräsentiert den Ostteil des neuen Kreises, der bis zur hessischen bzw. preußischen Einvernahme kurkölnisches Territorium war (Menden, Balve, Teile von Neuenrade).

EINWOHNERENTWICKLUNG

Mitte des 17. Jh. werden innerhalb der Balver Stadtmauern etwa 500 Menschen gewohnt haben. 1998 leben im Ortsteil Balve (ehem. Stadtgebiet im Amt) rd. 5.500 Bürger. Das entspricht einer jährlichen Steigerung von 2 %. Die Einwohnerentwicklung im Amtsbereich ist allerdings auf vage Schätzungen angewiesen, weil dem Amt zweimal im Laufe seiner Geschichte Dorfgemeinden zugeschlagen und dreimal Randgemeinden ausgegrenzt wurden. In den 70er Jahren wurde Küntrop, 1975 Blintrop , Affeln, Altenaffeln, Asbeck ausgegliedert. Verlässliche und vergleichbare Daten liegen für die Jahre 1818 bis 1964 vor. In dieser Zeit wuchs die Bevölkerung des Amtes von 3.724 auf 11.266 Einwohner = 1,7 % im Jahr. Das zu heutigen Stadt gehörende Terreritorium beherbergte 1918 (nach J. Pütter) 2.601, 1964 8.838 Bürger. Umgerechnet auf die derzeitige Einwohnerzahl der Großgemeinde wuchs die Bevölkerung seitdem jährlich um durchschnittlich 2,5 bzw. 3,9%.

EINWOHNERENTWICKLUNG BIS 1964

(1650 bis 1750 geschätzt)

1650

1700

1750

1818

1867

1914

1939

1946

1950

1964

STADT

500

550

600

648

1203

1313

1913

2803

2965

3538

AMT

2600

2800

3100

3427

5464

5754

7573

10669

10590

11266

Diese Zahlen mögen verdeutlichen, dass die Einwohner in Stadt und Amt seit der frühen Neuzeit kontinuierlich anwuchs. Sie sagen aber nichts aus über Schwankungen, die Kriege, Seuchen, wirtschaftliche Krisen- oder Hochzeiten, Stadt- und Landflucht (1870 - 1914) verursachten.

EINWOHNERBEWEGUNGEN IM STADTGEBIET

1940

1945

1949

1961

VERTRIEBENE

100

108

477

484

EVAKUIERTE

420

510

269

35

"FREMDE"

520

618

746

519

EINHEIMISCHE

1898

1936

2224

2917

Der zweite Weltkrieg bescherte Balve eine Strom "Nichtheimischer". 1945 lebten im Amtsbereich 1.865 Evakuierte, 453 Flüchtlinge und 159 Vertriebene. Jeder Vierte Einwohner war ein "Zugezogener". Obwohl fast alle Evakuierte in den kommenden Jahren in ihre Heimatsorte im Ruhrgebiet zurückkehrten, viele Flüchtlinge und Vertriebene in anderen Landen Arbeit und Brot fanden, betrug ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung 1961 noch immer über 15 %. Diese "Fremden" waren inzwischen heimisch geworden, die meisten hatten eine Familie gegründet. Ihre Integration verlief anfänglich örtlich nicht ohne Störungen, aber im allgemeinen reibungslos.

Die mit der Heimkehr oder dem Fortzug verbundenen sinkenden Einwohnerzahlen wurden vor allem von Kanadiern und Gastarbeitern aufgefangen. 1964 hatten in der Stadt 240, im Amt 440 kanadische Soldaten mit ihren Familien Wohnung gefunden, 1965 lebten 141 bzw. 236 Gastarbeiter (vor allem Italiener, Spanier, Türken) am Ort.

Bedeutsam ist, dass die Zuzüge eine rege öffentliche und private Bautätigkeit auslösten. Die Neubautätigkeit begann bereits 1948. 16 Jahre später hatte sich der Bestand an Wohngebäuden im Stadtgebiet mehr als verdoppelt, im Amtsbereich stieg er um 56% . Bauhandwerkliche Tätigkeiten, Kalk- und Chemieindustrie waren in die Nachkriegsjahren die tragenden Säulen der Wirtschaft des Hönnetals.

Vom Amt Balve zur Stadt Balve

Rahmen: zeitweise Größe des Amtes

  • blau: Dorfgemeinden, die bis zum Beginn des 19.Jh. abgetrennt wurden
  • lila: ausgegliederte Dorfgemeinden und Territorien bis 1975
  • rot: neue Stadt Balve mit Ortsteilen seit der Neugliederung

zeitweise Größe des Amtes

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